Miniatur-Wunderland: Utopien im Maßstab 1:87

Im Hamburger Miniatur-Wunderland wurde den im Bundestag vertretenen Parteien die Möglichkeit zu geben, ihr gesellschaftliches Idealbild auf einem Quadratmeter darzustellen. Ob das wirklich eine Wahlhilfe sein kann?

Die FDP braucht kein Arbeitsamt: Keine Hoffnung gibt es für die trinkenden und grölenden Punker dahinter. Bild: dpa

Bei der SPD sind einige umgefallen. Und das Hausboot, das die Sympathien der Partei für alternative Lebensentwürfe zeigt, liegt auf dem Trockenen. Das bleibt nicht so. Die Figuren sind noch nicht festgeklebt und im Flussbett wirds noch nass.

Das Miniatur-Wunderland in der Hamburger Speicherstadt, diese teilweise erschreckend reale Darstellung der deutschen Wirklichkeit im Maßstab 1 : 87 leistet einen Beitrag zur Bundestagswahl. Aufgeschreckt durch die schlechte Wahlbeteiligung bei der Europa-Wahl entstand die Idee, den im Bundestag vertretenen Parteien die Möglichkeit zu geben, ihre Utopie, ihr gesellschaftliches Idealbild, auf einem Quadratmeter darzustellen. Utopie im Diorama. "FDP und SPD reagierten schnell, die Linke brauchte am längsten", sagt Stefan Heinrichs, 29, im Miniatur-Wunderland für SPD sowie Grüne zuständig. Die Linke teilt er sich mit Sebastian Drechsler, der außerdem für CDU, CSU und FDP verantwortlich ist.

Meistens haben es Heinrichs und Drechsler mit den Wahlkampfzentralen in Berlin zu tun, denn was die Mitarbeiter des Miniatur-Wunderlandes in die Dioramen hineinstellen, muss von den Parteien genehmigt werden. In jedem Diorama stecken etwa 1.000 Arbeitsstunden, die Parteien kostet das nichts, jedenfalls kein Geld.

Fläche: Ein Quadratmeter pro Partei, so viel Platz hat das Miniaturwunderland der CDU, SPD und FDP, den Grünen, der Linkspartei und der CSU gestattet, um eine eigene kleine Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

Idee: Die kam nach einer Diskussion über die schlechte Wahlbeteiligung bei der Europawahl zustande. Diskutiert wurde, was passieren würde, wenn die Parteien durchsetzen könnten, was sie auf den Wahlplakaten fordern.

Umsetzung: Wie sähe die Partei-Utopie aus? Das können die Parteien am besten beantworten, deshalb gaben die Macher des Spielzeuglandes die Planung an sie weiter. Die Parteien skizzierten, wie und mit was ihr Platz gefüllt werden sollte. Doch so groß die Vorstellungen der Parteien sind, so klein ist ihr Platz im Vergleich zur Gesamtfläche: Die beträgt nämlich 1.150 Quadratmeter.

Sehr weit gediehen sind die Dioramen der SPD, der Grünen und Linken. Bei der SPD steht das Thema Bildung im Vordergrund: ein Labor, eine Uni, Schule, Kita, enge Verzahnung von Wohnen, Kultur und Arbeit. Eine weibliche Mechanikerin in der Werkstatt. Ein Schrebergarten mit Salatköpfen. Ein Haus aus dem 19. Jahrhundert im dem ein regionaler Verlag sitzt, der eine regionale Tageszeitung macht. Ein Ärztehaus. Frank-Walter Steinmeiers Vision vom Land ohne Arbeitslosigkeit ist schwierig umzusetzen. "Da kommen noch Ideen", glaubt Heinrichs.

Bei den Grünen kommt sogar noch Besuch: Spitzenkandidatin Renate Künast und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Krista Sager, entwickelten das Parteiprogramm im Miniaturmodell weiter: Neben gesetzten Sonnenblümchen und Fahrradständern wünschte sich Künast noch Reklame für "Elektroautos mit einer Reichweite von Flensburg bis München".

Die Grünen zeigen eine Solarfabrik, die sich aufs Gelände eines ehemaligen AKWs vergrößert. Ein Wasserstoffbus, ein Windrad, Sonnenblumen. Altbauten werden energieeffizient renoviert, ein Mehrgenerationenhaus, Alte, die von Pflegern, die genügend Geld verdienen, prima betreut werden. Ein renaturierter Fluss, im ländlichen Bereich energieautarke Häuser, artgerechte Tierhaltung. Der Müll wird getrennt, Autos tanken Strom. Auf den Dächern Solaranlagen, in der Chefetage der Solaranlage eine Powerpoint-Präsentation, gehalten von einer Frau, es ist 16.55 Uhr. Im Biergarten "ErneuerBar", sitzen Punks und Polizisten nebeneinander. Leihfahrräder, ein behindertengerechter Bahnsteig, Männer kaufen ein, Ausländer mittendrin. Die Schule hat einen Kräutergarten.

Auch die Straßennamen kommen von den Parteien, die ihren Entwürfen Titel gegeben haben: Der Titel der Linken lautet: "Für Freiheit" und ist keine Utopie, sondern eine Darstellung des Klassenkampfs. Eine aus Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung, Friedensaktivisten, Schwulen und Lesben und Gewerkschaftlern bestehende Demonstration bewegt sich durch die Straße. Starkes Polizeiaufgebot schützt einen Glaspalast. Auf dem Dach des Glaspalastes ein Fest, Sicherheitsbeamte in grauen Anzügen. Die Festgäste, Champagner, Hummer, Köche und Bedienungen, die sich um das Wohl der illustren Gäste kümmern, schauen auf die Demonstranten herunter. Etwas besorgt, denn unten stehen ihre dunkelblauen Limousinen. In den Häusern Sympathisanten der Demo, die von überall her Zulauf bekommt.

Da steckt das utopische, das emanzipatorische Potenzial dieses Vorschlags. Hier geht es um eine Welt, in der nicht, wie bei der SPD und den Grünen, die existierende Gesellschaft durch Reformen verbessert wird, sondern um eine Gesellschaft, in der, von Ungerechtigkeit zerrissen, alles erst noch erkämpft werden muss. Ein besetztes Haus in einem ehemaligen Industriegebäude, Lesungen anti-faschistischer Autoren. Vor dem Arbeitsamt eine Schlange. Für einen öffentlichen Kindergarten wird der Grundstein gelegt. Ein Piratensender, ein Plattenbau, ein geschlossenes Theater, das auf Wiedereröffnung wartet. "Man sieht, dass es die großen Parteien schwerer haben, als die kleinen. Die Großen müssen es vielen recht machen, die kleinen nicht", sagt Drechsler.

Die FDP ist der Gegenentwurf zu den Linken. Die ganze Welt besteht aus den Menschen, die bei den Linken auf dem Dach des Glaspalastes feiern. Kindergarten ist privat, Schule auch. Heizpilze, das war der FDP wichtig, vor den Cafés, in allen Restaurants wird geraucht. Fast eine reine Dienstleistungsgesellschaft. Ausnahme: eine mittelständische Brauerei. In einer Hochzeitskutsche ein schwules Pärchen, auch beim Fest umarmen sich zwei Männer. Die Straße heißt "Mehr-Netto-Allee", es können alle feiern, weil sie mehr Geld in der Tasche haben. Auf dem Haus eine Palme, hinter dem geschlossenen Arbeitsamt trinkende und grölende Punker. Für die gibts keine Hoffnung. Auf einem Kulturfest wird musiziert, Schwarze sind auch dabei. Schilder werden abmontiert und in einen Leichenwagen verfrachtet. Ein älteres Ehepaar weint darüber. Deregulierung, fein übersetzt.

Das FDP-Diorama ist, wie das der Linken, geteilt. Unter den Gleisen, in einem Tunnel, Demonstranten, die, weil es im FDP-Land nix mehr zu demonstrieren gibt, für Bürgerrechte im Iran eintreten. Auf dem Platz der Großen Freiheit ein Kunstwerk, für den die Bundes-FDP einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben hat. Im Zentrum der FDP ein Markt, der alles reguliert. Man braucht nur noch Schülerlotsen für den Verkehr, die Politik hat sich verabschiedet. Es gibt nur noch die FDP mit ihren bunten Sonnenschirmen.

Wo der Markt herrscht ist es lustig und fidel. Die Ausländer, eine türkische Großfamilie, stehen an teil privatisierten Bahngleisen. Das ist das Fegefeuer. Unter hinter dem Bahnhof ist die Hölle. Ein Schilderwald, an dem noch gearbeitet wird.

Die CDU steht noch nicht. Die Idee geht so: 3.000 schwarze Figuren oben, 3.000 rote in der Mitte, 3.000 goldene unten. Und ein weißes "WIR", gebildet aus 1.000 Figuren, mittendrin. "Wir produzieren gerade Püppchen", sagt Heinrichs. Kein Inhalt, nur ein Bild. Es ist wie im politischen Leben. Der politische Gegner bekommt die CDU nicht zu fassen, weil sie kein Inhalt mehr ist, nur noch Marketing. Da ist mehr Wahrheit im Diorama als es einigen Parteien lieb sein kann.

Die CSU hat das Leitmotiv "Berlin braucht mehr Bayern". Auch da gibts noch nichts, aber Drechsler weiß schon, was kommt. Das Brandenburger Tor, von dem die Quadriga entfernt wird, und das eine Bavaria bekommt. Die Säulen des Brandenburger Tors werden blauweiß angestrichen. "Unter den Linden" ist ein Trachtenumzug. Drechsler unterstellt eine "selbstironische Note", ist aber sicher, dass die CSU von der Allheilkraft Bayerns überzeugt ist. Neben dem Brandenburger Tor ein Biergarten mit Gästen in Lederhose und Laptop und einer Nonne. "Skurril", sagt Drechsler.

Am 9. September ist die offizielle Präsentation aller Partei-Dioramen. Die Dioramen werden auch nach der Bundestagswahl stehen bleiben. Die Parteien behalten wir ja schließlich auch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.