Kolumne DDR Künstler: Unheimliche Sommerfrische

Ost-Künstler bleiben auch im Sommerloch vergessen. Nur Tübke nicht. Der war anders, gehörte irgendwie zum DDR-Inventar und war so verrückt, das weltgrößte Historiengemälde zu malen.

Wer sagt, der Sommer sei die leichteste Zeit des Jahres? Wer einmal anfängt zu bemerken, wie viele Menschen im Sommer sterben, sieht das anders. Vor zwei Jahren traf es die Regisseure - Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergman starben gar am gleichen Tag, am 30. Juli. Kurz davor der Tod Ulrich Mühes. Die Sterbefälle dieses Sommers sind hier nicht zu wiederholen. Nein, der Sommer ist eine entschieden unheimliche Zeit. Ein Sommer-Loch eben, ein großes schwarzes Loch. Vielleicht ist selbst dabei ein letztes Stück Berechnung dabei: Künstler, die im Somner sterben, bekommen die längeren Nachrufe.

Werner Tübke starb nicht am 30. Juli wie Bergman und Antonioni, sondern wurde am 30. Juli geboren. Und weil das jetzt genau 80 Jahre her ist, stand auch sein Name soeben wieder in den Zeitungen. Und doch viel zu selten. Tübke war ein Ost-Maler. Und wer aus der DDR kommt, trägt ein viel höheres Risiko, vergessen zu werden. So wie der Dichter Franz Fühmann, der für eine ganze Generation Ost der vielleicht wichtigste Autor war - auch er starb im Sommer, vor 25 Jahren.

Dass er vergessen wird, ist nicht böse Absicht, nur ist das Mehrheitsgedächtnis westelbisch. Die Ostler jeder Generation bilden nichts weiter als eine kleine Erinnerungssplittergruppe, jede ihre eigene. Die Älteren lieben den DDR-Aufbau-Fühmann, wir den hochsensiblen, hochpoetischen, mythentiefen Nichts-ist-so-verloren-wie-die-DDR-Fühmann. Doch da ist ein kleines Ungarn-Tagebuch dieses Franz Fühmann, das heißt "22 Tage oder die Hälfte des Lebens", und es wiegt ganze Bibliotheken von Wendeliteratur auf. Jede August-Kolumne sollte eine Lektüreempfehlung enthalten.

Bei Tübke, dem Maler, war das anders. Tübke gehörte gewissermaßen zum Inventar, zum DDR-Inventar. Tübke war der verrückte Maler, der ein weltgrößtes Historiengemälde (14 Meter hoch und 120 Meter Umlauf) malte, fast allein, in über zehn Jahren. Tübke sah das so: Michelangelo hat die Sixtinische Kapelle im Grunde auch allein gemalt. Er hatte zwar Gesellen, die hatte Tübke anfangs auch, aber dann glaubte er, wenn er es allein macht, wird es noch viel besser. Wer wirklich jung ist, hat keinen historischen Sinn. Und elf Jahre sind ihm die Hälfte der Ewigkeit. Wir hatten keinen Sinn für Tübke. Und nun ist er eine große Entdeckung - eine Entdeckung für Menschen, die wissen, dass der Sommer und die Geschichte voller Tod sind. Eine Augustkolumne sollte unbedingt eine Reiseempfehlung fürs Diesseits enthalten: Bad Frankenhausen! Es besteht vor allem aus dem weltgrößten Revolutionsgemälde und liegt samt Kyffhäuser kurz vorm Harz. Der Anlass: Am 14. September 1989 ist Tübkes Revolutionsbild-Museum in Bad Frankenhausen eröffnet worden.

Die DDR hatte sich Anfang der 1970er-Jahre ein Gemälde gewünscht, das "die größte revolutionäre Massenbewegung in der Geschichte des deutschen Volkes vor der Revolution 1848" darstellt und dazu den "bedeutenden Revolutionär", "führenden Ideologen und Organisiator" und "frühbürgerlichen Klassenkämpfer" Thomas Müntzer. Ein Bild so groß wie diese Revolution! Und dann ist das Bild fertig und keine zwei Monate später kommt die nächste Revolution und fegt es aus allen Köpfen. Die Geschichte, die Furie des Verschwindens, fährt nieder auf ihren Maler. Damals tat der Maler mir leid, heute nicht mehr: Er muss es geahnt haben. Tübke sagte, er male eigentlich immer nur "Turbulenzen auf der Zeitachse". Und dies war eine ganz entschiedene Turbulenz auf der Zeitachse! Und jetzt beim Wiederanschauen, zwanzig Jahre später, sieht man nichts mehr von den Selbstbestätigungsabsichten des selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staates, der die Bauern eines längst vergangenen Jahrhunderts zu seinen Zeugen bestellen wollte.

Dieser Maler hat - nicht anders als jeder Renaissancemaler auch - im Auftrag der Mächtigen einfach gemalt, was er wollte: das große Schlachthaus Geschichte, Geschichte nicht als Weg hinauf, sondern als immer neu sich öffnender Abgrund. Tübke malte das, als wäre er ein Zeitgenosse Cranachs, Dürers. Er hat nie anders gemalt, mit dem beinahe gespenstisch meisterhaften Pinselstrich längst versunkener Jahrhunderte. Gott, Tod und Teufel. Mönche, Narren und Engel. Auch das übrige Personal schon auf seinen früheren Bildern ist von damals.

Umberto Eco bekannte, im Mittelalter zu Hause zu sein und von der Gegenwart nur aus dem Fernsehen zu wissen. Tübke hörte vor allem Radio. Wenn er im Bild etwas zum Putsch in Chile und zur Ermordung Allendes 1973 sagen wollte, dann wurde es eben eine Renaissance-Pieta. Ja, darf der das?, möchte man noch immer fragen.

Die Modernen sagen ohnehin Nein, Wohlmeinende erklärten ihm schon immer, dass er seine wahre Berufung verfehlt habe. Was für ein einzigartiger Fälscher alter Meister hätte aus ihm werden können! Als Tübke mit dem Schlachtenpanorama anfing, wussten die Italiener längst, dass der größte verfügbare italienische Maler aller Jahrhunderte ein Leipziger ist. Und seltsam genug: Er wollte da nicht weg. Man sucht auf diesen Bildern, in diesen Allegorien etwas, was die einfache Kunstordnung wieder herstellen würde, was diesen Mann entzaubern würde: als bloßen Nachfahr, Nachahmer, Epigonen. Aber selbst wenn Tübke einen "Sizilianischen Großgrundbesitzer mit Marionetten" malt, reicht etwas im Bild darüber hinaus - macht es zu einem Zeugen der Gegenwart. Etwas geht mit, das um 1500, um 1600 so noch nicht zu malen war. Tübke beschämt jeden einfachen Kunstkanon.

Wir leben in einer Übergangszeit, einer Décadence. Tübke malte mit den Mitteln der Übergangszeitler solche Geschichtsneigen. Darin liegt seine Aktualität. Er malte die Décadence mit den Mitteln der Décadence. Und das mitten in der DDR? Es war ganz einfach: Sie musste sich dem Stärkeren immer wieder beugen. Für Bad Frankenhausen hatte er ein 13-Punkte-Papier aufgesetzt, das nur auf einen einzigen Punkt hinauslief: dass er machen kann, was er will. Die Staatsmacht hat unterschrieben. Wem es nach Bad Frankenhausen zu weit ist, kann die große Tübke-Retrospektive bis Mitte September auch im Museum der Bildenden Künste in Leipzig, danach in Berlin sehen.

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