SCHULREFORM: Lehrer lernen loslassen

An der Ronzelenstraße wird mit der neuen "Oberschule" begonnen: Ein pädagogisches Modell, in dessen Rahmen die Schüler ihr Lernen selbst organisieren.

Das Lehrerpult steht jetzt am Rand - um die Schülerinnen nicht zu stören. Bild: kawe

Ein Lehrerpult gibt es nicht mehr in den neuen Räumen des 5. Jahrgangs. Es gibt Tischgruppen, und Anja Krüger, die Mathe-Lehrerin, hat einen Arbeitstisch am Rande eines Raumes - mit Blick aus dem Fenster. "Der Lehrer soll die Kinder nicht beim Lernen stören", sagt sie lächelnd. Das ist das neue Prinzip: Lehrer lernen "loslassen". Entscheidend ist, dass die Kinder lernen, sich ihres Lernprozesses bewusst zu werden und "Erfolgsmeldungen" an den Lehrer zu geben. Es gibt im Stundenplan nicht Mathe, Bio oder Physik, sondern "Studienzeiten" und "Projektphasen".

Lehrerinnen sind keine Einzelkämpfer mehr im Frontalunterricht mit der Klasse, sondern arbeiten in Jahrgangsteams und die überwiegende Zeit unterstützend in einem "individualisierten Unterricht". So sieht die neue Schule aus, die Bremens Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) gestern stolz vorstellte: Das Schulzentrum Ronzelenstraße in Horn hat sich "auf den Weg gemacht", Oberschule zu werden. Seit Ostern arbeitet das Jahrgangsteam für die vier neuen fünften Klassen an dem Konzept, hat sich die Max-Brauer-Schule in Hamburg zum Vorbild genommen und sich Anregungen und Fortbildung geholt. Für die Lehrer ist es ein aufregender Neuanfang, sagt die Koordinatorin Antje Krüger, auch sie hat diese Form der Pädagogik im Studium nicht gelernt und jahrlang anders gearbeitet.

Nicht jede der neun Schulen, die sich zum Schuljahresbeginn als "Oberschulen" neu konstituieren, haben ein so weitgehendes pädagogisches Konzept. Neben der Ronzelenstraße beginnen auch das Schulzentrum Findorff und die Lerchenstraße gleichzeitig, eine eigene Oberstufe aufzubauen. In Horn bestehen dafür gute Voraussetzungen, bisher waren zwei Drittel der Schüler in Gymnasial-Klassen. Die Schule versteht sich als "sportbetonte" Schule, da gibt es viele, die neben dem Schulprogramm ein sportliches Leistungsprogramm für sich gewählt haben.

Selbstständiges Lernen soll ganz groß geschrieben werden - wird aber auch vorausgesetzt. Ein kleines Plakat liegt auf dem Tisch: "Grundregeln für den Unterricht: 1. Jeder Schüler/ jede Schülerin hat das Recht, ungestört zu lernen. 2. Jede Lehrerin / jeder Lehrer hat das Recht, ungestört zu unterrichten. 3. Jeder muss stets die Rechte der anderen respektieren." Regeln und Rituale sind wichtig bei dem Modell. Das zentrale Instrument ist ein "Schulplaner", den jedes Kind bekommt, um sein Unterrichtsjahr damit zu planen: rund 100 Seiten dick. Der beginnt mit "Das bin ich" und einem "Selbsteinschätzungsbogen" für den Schülersprechtag, rechts daneben sofort: "Meine Ziele zur Verbesserung". Dass Lehrkräfte da etwas hineinschreiben, ist nicht vorgesehen - die Schüler "planen" ihr Schuljahr, Lehrer müssen nur abzeichnen, unterschreiben. Es gibt mehrere Seiten lange "Kompetenzraster", auf denen die Schüler ihre Lernziele aufgelistet finden, zum Beispiel: "Ich kann eine längere Ballade auswendig und gestaltend vortragen", oder: "Ich kann drehsymmetrische Figuren zeichnen".

Den Hauptteil des "Schulplaners" machen die Doppelseiten aus, mit denen jede Kalenderwoche dokumentiert wird: Da gibt es Rubriken für Mathe, Englisch, Deutsch und WUK, aber auch: "Meine Ziele und Aufgaben für den Tag", "Ich nehme mir auch vor:" und am Ende: "Meine Erfolge". Und das System ist kein Laissez-faire: Unten rechts in der Ecke ist Platz für drei Unterschriften: Klassenleitung, Eltern, Trainer.

Heute starten die "Fünften" mit dem neuen System.

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