Kommentar rechtsradikale Hausbesetzung: Linke Missverständnisse

Lokalpolitiker kritisieren, der Verfassungsschutz hätte davor warnen müssen, dass Rechtsradikale an dem Hotel in Faßberg interessiert sind. Die Kritik geht in die falsche Richtung.

Die Kameraden des NPD-Vizechefs Jürgen Rieger müssen aus dem besetzten Hotel in Faßberg abziehen. Noch während sich die meisten Menschen dort darüber freuen, kritisieren linke Gruppen und lokale Politiker den Verfassungsschutz: Warum hat der Inlandsgeheimdienst nicht schon vor der Besetzung gewarnt, dass Rieger an dem Haus interessiert ist? Diese Kritik geht in die falsche Richtung.

Wenn Neonazis einen Sportverein in Mecklenburg-Vorpommern unterwandern oder Rechtsextreme eine Bürgerinitiative in Sachsen-Anhalt kapern - immer soll der Verfassungsschutz vorher warnen. In Wolfsburg schafft es Rieger vielleicht, ein Kraft-durch-Freude-Museum aufzumachen, auch da war die Stadtverwaltung überrascht und kritisierte - wen wohl? - den Verfassungsschutz.

Nimmt man allein ihre Funktion als Frühwarnsystem als Maßstab, dann versagt die Behörde in Deutschland andauernd.

Allerdings, wie sähe ein Verfassungsschutz aus, der tatsächlich all diese Ereignisse im gewünschten Maße verfolgen und davor warnen würde? Es müssten Datenschutzvorgaben fallen, welche dem Geheimdienst bei seinem Tun Grenzen setzen. Die Behörde müsste mehr Personal einstellen. Und wenn sie sich einmal an ihre aktive Rolle gewöhnt hätte, dann würde sie die sicherlich auch auf anderen Feldern spielen wollen.

Sich mit Neonazis zivilgesellschaftlich auseinandersetzen zu müssen, ist äußerst unangenehm, zeitaufwändig und potenziell immer gefährlich. Dass die Faßberger und viele andere Menschen nach staatlicher Hilfe rufen, ist daher verständlich. Aber gerade Faßberg hat sehr schön gezeigt, dass es ohne geht - auch auf dem platten Land.

Die Neonazis mögen durch ihre Hausbesetzung gestärkt worden sein, ihre Gegner sind es aber erst recht. Sie sind nun sensibilisiert, sie haben Abwehrstrukturen aufgebaut. Es kann sein, dass die Rechtsextremen wiederkommen, weil ein Gericht Riegers Pachtvertrag doch noch anerkennt. Dann werden sie jetzt mit starkem Widerstand rechnen müssen, der mitten aus der Bevölkerung kommt. Eine solche Gegenbewegung ist sehr viel wirkungsvoller als staatliches Eingreifen. Sie macht den Rechtsextremen wirklich zu schaffen. Argumentieren sie doch immer, sie würden eigentlich die schweigende Mehrheit der Deutschen vertreten.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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