Ein dickes Problem wächst heran

Viele Kinder sind zu dick, 13 Prozent der Schulanfänger haben Übergewicht. Dabei spielen auch die soziale und ethnische Herkunft eine Rolle. Laut Gesundheitsverwaltung gilt: Je ärmer, desto dicker

VON VERONIKA DE HAAS

„Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin“, sang Marius Müller-Westernhagen seinerzeit über Menschen mit Übergewicht. Britta Burmeister hat das Lied als Jugendliche gehasst. Seit sie denken konnte, hatte sie das Gefühl, „nicht satt zu werden“, und stopfte Massen von Nahrungsmitteln in sich hinein. Mit Mitte dreißig wog sie 130 Kilo und quälte sich mit Asthma und Minderwertigkeitskomplexen.

Übergewicht ist zur Volkskrankheit avanciert. „In den letzten zehn Jahren sind die Betroffenenzahlen um 20 Prozent angestiegen“, sagt Susanne Wiesner vom Franz-Volhard-Institut für klinische Forschung an der Charité. In Berlin wie im gesamten Bundesgebiet haben etwa 65 Prozent der Erwachsenen zu viel Fleisch auf den Rippen. Wiederum ein Fünftel davon ist als adipös, also stark übergewichtig, zu bezeichnen. Adipositas-Expertin Wiesner nennt die Zahlen „alarmierend“.

Ob jemand übergewichtig ist, wird mit Hilfe des Body-Mass-Index (BMI) ermittelt. Er ergibt sich aus der Gleichung Körpergewicht dividiert durch das Quadrat der Körpergröße. Ein BMI zwischen 20 und 25 entspricht dem Normalgewicht, ab 30 sprechen Experten von Adipositas.

Die 1,75 Meter große Britta Burmeister kam einst gar auf einen BMI von 37. Doch vor allem Männer haben mit den Pfunden zu kämpfen. Während nur jede zweite Berlinerin in den kritischen Gewichtsbereich fällt, weisen etwa zwei Drittel der männlichen Hauptstadtbevölkerung einen BMI von mehr als 25 auf.

Sorgen bereiten der Gesundheitsverwaltung jedoch vor allem die Kinder. Die jüngsten Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen ergaben, dass 13 Prozent der Schulanfänger zu viel Gewicht auf die Waage bringen. Die Studie belegt auch: Gewichtsprobleme stehen in Zusammenhang mit ethnischer Herkunft und sozialer Situation der Kinder. Während „nur“ jedes zehnte Kind deutscher Herkunft pummelig ist, so sind es bei den Schülern türkischer Herkunft doppelt so viele. Und: „Je niedriger die soziale Schicht, desto dicker die Kinder“, sagt Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Gesundheitsverwaltung.

Neben der Bewegungsarmut ist vor allem das Fehlen von Esskultur und Ernährungsbewusstsein in den Familien verantwortlich für die kindliche Leibesfülle. Schüler würden heute häufig „mit einem Euro statt mit Schulschnitten ausgestattet“, so Steinbrenner. Oft würden sie keine geregelten Mahlzeiten kennen.

Gewichtskorrekturen seien bei Schulkindern besonders wichtig, denn „Übergewicht in der Kindheit legt den Grundstein für Übergewicht im Alter“, erklärt Steinbrenner. Wichtig sei es, ein Bewusstsein für gesunde Ernährung zu schaffen.

Denn die Folgeschäden von Fettsucht sind fatal. 60 Prozent der Fälle von Altersdiabetes seien auf Übergewicht zurückzuführen, sagt Susanne Wiesner. Viele Menschen würden heute bereits im mittlerem Alter daran erkranken und dann alle Begleiterscheinungen bis hin zu Erblindung und Beinamputation erleben. Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Probleme und eine erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung führt sie weiter an. Aber auch psychische Probleme, die durch Übergewicht entstehen, werden oft behandlungsbedürftig. Dicke fühlen sich häufig ausgegrenzt und leiden an mangelndem Selbstbewusstsein.

Britta Burmeister hat inzwischen 20 Kilo verloren. Ihre Komplexe hat sie abgelegt und gelernt, bewusst und mit Genuss zu essen. Ihre Erfahrungen wollte sie gern weitergeben. Deshalb veranstaltet die gelernte Erzieherin am kommenden Wochenende zum zweiten Mal die „Rundum“, eine Messe für übergewichtige Menschen (siehe Kasten). Und über Westernhagen kann sie inzwischen lachen.