Kommentar Sozialausgaben: Hartz IV rettet Kapitalismus

Ein Drittel der deutschen Wirtschaftsleistung wird für soziale Aufgaben aufgewendet wird. Gut so, denn Sozialausgaben sind momentan das einzige funktionierende Konjunkturprogramm.

Muss man sich Sorgen um Deutschland machen? Der neue Sozialreport weist aus, dass knapp ein Drittel der deutschen Wirtschaftsleistung für soziale Aufgaben aufgewendet wird - also für Renten, Krankheit, Pflege und Arbeitslosigkeit. Für Neoliberale sind derartige Daten stets ein Grund, den Skandal zu wittern und um die deutsche Leistungsfähigkeit zu bangen. Denn das Wort "sozial" wird gern mit "unproduktiv" assoziiert. Im weltweiten Konkurrenzkampf, so die Idee, kann es nur stören, wenn man allzu viele Bürger unterstützen muss.

Tatsächlich ist es jedoch genau andersherum: Sozialausgaben sind außerordentlich produktiv. Sie sind momentan das einzige Konjunkturprogramm, das funktioniert. Denn ob Rentner oder Arbeitslose - die meisten tragen ihre kargen Zuwendungen sofort in die Läden und stützen damit die Wirtschaft.

Die offiziellen Konjunkturmaßnahmen hingegen sind bisher nicht besonders effizient. So wurden Milliarden für Steuersenkungen vergeudet, von denen vor allem die Gutverdiener profitieren, die das Geld dann aufs Konto packen. Die Abwrackprämie wiederum sorgt nur dafür, dass Autokäufe vorgezogen werden. Im nächsten Jahr werden diese Aufträge der Autoindustrie dann fehlen. Und die Förderung der kommunalen Bauprogramme steckt noch immer im bürokratischen Nirwana fest. Der Internationale Währungsfonds hat Deutschland daher kürzlich für seine Sozialausgaben gelobt, die als "automatische Stabilisatoren" in der Krise wirkten.

Die "soziale Marktwirtschaft" wird oft als Trostprogramm für die Arbeitnehmer verstanden. Das ist ein kompletter Irrtum: Ohne die Sozialausgaben würde der Kapitalismus seine Krisen gar nicht überstehen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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