Einwanderung in den USA: "Alles, nur nicht legal"

Obwohl sich die Famile Perez aus Uruguay schnell in den USA zurechtfand, sind sie nicht integriert.

Amerikanisch? Nein, "illegal": Alexandra, Flavia, Bruno (v. l.) und Freunde in Washington. Bild: frauke böger

"Was sind wir denn jetzt? Legal? Illegal? Ohne Papiere?" Flavia Perez Alveal dreht sich zu ihrer Schwester und ihrem Mann um, die ihr gegenüber auf dem großen schwarzen Ledersofa sitzen. "Wir sind ,sin papeles' - ohne Papiere", sagt Alexandra Perez, die große Schwester. Und Ehemann Bruno Alveal erwidert lachend: "Wir sind alles, nur nicht legal."

Man würde es nicht vermuten, sieht man die große und helle Wohnung in dem Mehrfamilienhaus mit den zwei Garagen in der ruhigen und ordentlichen Straße im kleinen Örtchen Elizabeth, im Bundesstaat New Jersey. Illegal, ohne Papiere - was das hier heißt, ist kompliziert.

Die Perez kamen vor sechs Jahren nach New Jersey. Flavia und Alexandra verließen mit ihren Eltern ihre Heimat Uruguay, weil der Vater seinen Job verlor, die Banken kollabierten und die beiden Mädchen ihr Studium in der Hauptstadt Montevideo abbrechen und in das kleine Dorf an der argentinischen Grenze zurückmussten.

Nachkriegszeit: Das sogenannte Bracero-Programm 1943 bis 1964 bewirkte einen Zustrom von 4,7 Millionen Mexikanern in den Südwesten der USA, die den Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft ausgleichen sollten. Nachdem sich die Lage am Arbeitsmarkt normalisiert hatte, wurden sie als llegale Einwanderer betrachtet und in der Operation Wetback zurück nach Mexiko deportiert.

Immigration Act: Mit dem Immigration and Nationality Act von 1968 wurde die auf nationaler Herkunft basierende Einwanderungsquote abgeschafft, die seit 1924 Einwanderer aus Nord- und Westeuropa privilegierte.

Amnestie: Die große Zahl illegaler Einwanderer führte 1986 zum Immigration Reform and Control Act, der 2,7 Millionen "Illegalen" eine generelle Amnestie gewährte - vorausgesetzt, sie lebten seit dem 1. 1. 1982 dauerhaft in den USA. Gleichzeitig wurde die Beschäftigung illegaler Einwanderer kriminalisiert.

Proposition 187: 1994 sollte in Kalifornien die "Proposition 187" in Kraft treten, die illegalen Einwanderern den Zugang zu staatlicher Gesundheitsversorgung und Schulbildung verweigern sollte. Mehr als die Hälfte der Kalifornier stimmte für den Gesetzentwurf, aber in einem jahrelangen Gerichtsprozess wurde die Verfassungskonformität des Gesetzes stark angezweifelt. 1998 wurde es suspendiert.

Verschärfung der Gesetze: 1996 wurde die Einwanderungsgesetzgebung mit dem Illegal Immigration Reform Act and Immigrant Responsibility Act" enorm verschärft. Das Gesetz sah die präventive Inhaftierung und schnelle Abschiebung von straffälligen Immigranten vor.

Grenzzaun: Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Grenze zwischen Mexiko und den USA Schauplatz einer enormen Militarisierung. Die Operationen "Gatekeeper", "Safeguard" und "Rio Grande" sind Beispiele für repressive Aktionen der amerikanischen Grenzschützer. 2005 wurde der Grenzzaun geplant. Bis heute sind etwa 900 Kilometer Zaun an der insgesamt 3.000 Kilometer langen Grenze gebaut. FB

"Damals sind doch so viele ausgewandert, wir haben keinen anderen Weg gesehen. Das Einzige, was in Uruguay auf uns wartete, waren Schulden", sagt Flavia Perez. Also packten sie ihre Koffer mit Kleidung für zwei Wochen. "Wir hatten festliche Kleider und Geschenke für eine Hochzeitsfeier dabei. Es sollte so aussehen, als würden wir nur zu diesem Zweck einreisen. In Wirklichkeit gab es gar keine Hochzeit. Wir hatten kein einziges Foto oder Erinnerungsstück an unsere Familie oder Freunde dabei", erzählt Perez. "Die Kontrolleure am Flughafen sollten glauben, dass wir unser Rückflugticket für zwei Wochen später wirklich benutzen würden", sagt sie und lacht laut. "Nervös waren wir schon, aber es hat ja geklappt."

Es gab bereits Bekannte von Bekannten aus Uruguay, die in New Jersey lebten. Der Vater fliegt voraus, bekommt bei einem Landsmann einen Job und findet mit dessen Hilfe auch eine Wohnung für die Familie. Alles hängt davon ab, Kontakte zu haben zu Uruguayern, die bereit sind, den Neuankömmlingen unter die Arme zu greifen.

Mutter und Töchter Perez reisen hinterher, Flavia trifft einige Wochen nach ihrer Ankunft eine Brasilianerin in einem Supermarkt, sie kommen ins Gespräch, und diese vermittelt ihr einen Job als Babysitterin in einer wohlhabenden Wohngegend bei Newark. "Ich habe Glück gehabt mit meinen Arbeitgebern, ich werde sogar bezahlt, wenn ich krank bin, und bekomme Urlaubs- und Weihnachtsgeld", sagt Perez.

Sechs Jahre sind seither vergangen. Flavias Eltern sind bereits wieder nach Uruguay zurückgekehrt, auch die Töchter planen ihren Abgang aus den USA. Die Geschichte der Perez ist keine Geschichte gelungener Integration, aber das war auch nicht ihr Ziel. "Ich hatte immer im Kopf, dass ich wieder zurückkehren würde, es war keine Auswanderung auf Lebenszeit", sagt Perez. Ihr fehlt der Rückhalt - die Freunde und die Großfamilie.

Innerhalb der Familie ist Flavia diejenige, die sich am meisten der neuen Welt öffnet. Sie macht als Erste den Führerschein, geht zum College und belegt nach einem Englischkurs einen Kurs in Hotelfach. "Man kann ohne Papiere ans College gehen, aber nicht an die Universität", sagt sie. Sie kann natürlich kein Stipendium beantragen und muss, anders als ihre Kommilitonen, alle Lehrmaterialien selbst zahlen. "Wenn du bezahlst, ist das alles kein Problem hier", sagt sie. Das College kostet 1.500 Dollar pro Semester - mit ihrem Job als Babysitterin verdient sie genug, um sich das leisten zu können. "Ich kriege 500 Dollar in der Woche, das ist viel."

Die 29-Jährige wirkt stark, ihr Lachen ist ansteckend, und man merkt, dass sie sich Gedanken macht über ihre eigene Geschichte und ihren Platz in der Welt. Aber jedes Jahr zu Silvester wird sie krank, seit sie in den USA ist. "Es ist das Heimweh, das ich das ganze Jahr über runterschlucke, und dann, zum Jahresende, kommt es hoch und erdrückt mich", sagt sie. Einmal muss sie sogar ins Krankenhaus, so schlimm sind die Bauchschmerzen. Die Ärzte können aber nichts feststellen, und ein paar Tage nach dem Feiertag ist es vorbei. 2006 lernt sie den Portugiesen Bruno Alveal kennen, der ebenfalls ohne Aufenthaltsgenehmigung ist. Die beiden ziehen zusammen und heiraten. Sie nabelt sich ein bisschen ab von den Eltern. Und von der älteren Schwester, die verschreckt erscheint angesichts der neuen Kultur. Sie hat große Schwierigkeiten, Englisch zu lernen. "Wenn Gott will", so sagt die 31-jährige Alexandra häufig - sei es in Bezug auf eine neue Arbeit, einen Mann fürs Leben oder eine Rückkehr nach Uruguay.

Elizabeth in New Jersey liegt in den Vorhöfen von Newark und New York City. Es ist eine typische amerikanische Kleinstadt direkt an der Route 95, 125.000 Menschen leben hier. An vielen Ecken hat man gar nicht das Gefühl, in den USA zu sein - Spanisch ist die erste Sprache vieler, in Supermärkten, Apotheken und an Tankstellen wird man wie selbstverständlich auf Spanisch bedient.

Auf der Straße sieht man fast nur Autos mit Kennzeichen aus North Carolina oder Maryland. "Daran kann man sehen, dass die meisten hier illegal sind", sagt Perez. "Hier, in New Jersey, braucht man eine Sozialversicherungsnummer, um den Führerschein zu machen oder ein Auto zu kaufen", sagt sie. In Maryland oder in North Carolina reichen der Pass und ein Nachweis des Wohnsitzes - also beispielsweise eine Telefonrechnung an die eigene Adresse. Deswegen sind die Autos in New Jersey ein Indiz dafür, dass hier so viele Illegale sind.

"Wenn die Polizei uns ausweisen wollte, müssten sie sich nur an die Straße stellen und ein Auto nach dem anderen kontrollieren", sagt Perez. "Ich bin schon dreimal angehalten worden und nie nach meinen Papieren gefragt worden", sagt Alexandra Perez. "Ich bin sogar mal als Geschworene vor Gericht geladen worden, und als ich hingegangen bin und gesagt habe, dass ich keine amerikanische Staatsbürgerin bin, war das erledigt, ich konnte wieder gehen", sagt Flavia.

Die drei sind nachdenklich geworden, die Kalebasse mit dem Matetee kreist nur noch langsam durch die Runde. "Die Regierung will doch gar nicht, dass wir wieder zurückgehen - sie brauchen uns", sagt Bruno Alveal. "Es ist ihnen egal, ob wir illegal sind oder nicht. Was ihnen wichtig ist, ist, dass wir Steuern zahlen." Ja, Illegale in den USA zahlen Steuern. Jedenfalls die, die sich etwas davon versprechen - zum Beispiel Berücksichtigung bei einer Amnestie für illegale Einwanderer. Eine Steuernummer kann sich jeder geben lassen. Aber die viel wichtigere Sozialversicherungsnummer bekommen "Illegale" nicht. Wer seine Arbeit in bar bezahlt, kann am Ende des Jahres die Steuerabrechnung mithilfe seiner Steuernummer machen. Wer per Scheck bezahlt wird, braucht eigentlich eine Sozialversicherungsnummer, die auf dem Scheck angegeben sein muss.

Es gibt welche zu kaufen, natürlich gefälschte. "Ich habe mir eine besorgt bei einem Mann aus dem Viertel, der verkauft die Nummern." Woher die Nummern kommen, weiß er nicht. "Vielleicht sind die Nummern von Verstorbenen oder von Leuten, die nicht arbeiten", sagt Alveal. Er benutze sie ausschließlich für die Schecks - "das ist ungefährlich".

Er arbeitet auf dem Bau, wie viele Latinos in den USA. Da verdient er nicht schlecht, aber auf Dauer wird sein Rücken das nicht mitmachen. Sein Traum ist eine eigene Konditorei, Alveal ist gelernter Konditor. Die Hoffnung auf baldige Legalisierung und damit die Chance zu beruflicher Freiheit haben die drei aufgegeben. "Obama hat erst mal Wichtigeres zu tun", meint Alveal, "obwohl er angekündigt hat, dieses Jahr das Problem anzugehen."

Ihr Wunsch auf Legalisierung ist nicht als Wunsch nach einem Leben als US-Bürgerin zu verstehen. Eine Legalisierung hätte ihnen vieles erleichtert, aber zumindest bei Flavia und ihren Eltern war immer der Wunsch präsent, wieder an den Rio de la Plata zurückzukehren, noch vor der Einreise in den USA. Die Frage nach Integration ist komplex - einerseits sind sie sich sicher, nicht wirklich hierher zu gehören, andererseits sind sie dankbar, hier sein zu können, und wissen, dass die "Illegalen" in den USA ökonomisch sehr wichtig sind.

Die Abreise ist bereits geplant: "Eigentlich wollten wir schon Anfang dieses Jahres nach Uruguay und dann nach Portugal oder Spanien, aber dann musste mein Mann operiert werden und konnte zwei Monate nicht arbeiten", erzählt Perez. Die Operation hat Charity Care bezahlt, eine Art Krankenversicherung für Geringstverdiener, die auch "Illegale" in Anspruch nehmen können - man braucht keine Sozialversicherungsnummer für die Anmeldung. Nur den Chirurg und die Anästhesie mussten sie selbst bezahlen. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gab es für Alveal nicht, und so sind fast die gesamten Ersparnisse des Paars draufgegangen. "Jetzt bleiben wir noch ein Jahr oder so, bis wir wieder mehr angespart haben. Ganz ohne Ersparnisse können wir in Uruguay oder Portugal ja auch nichts machen", sagt Perez. Sie wollen nicht mehr abhängig sein von der Gunst eines Arbeitgebers und sich frei bewegen können. "Ich möchte reisen und vor allem möchte ich endlich meine Freundinnen wiedersehen, das hält man nicht lange aus", sagt Flavia Perez. Noch ein Silvester in den USA will sie nicht erleben.

*Alle Namen geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.