DDR-Umweltbewegung: Mit Fahrrad und Dampfer zu den Orten der Umweltsünden

Im Juni 1989 veranstalten Oppositionelle den ersten Ostberliner Umwelttag, gedacht als Auftakt zu mauerübergreifenden Aktionen mit Westgrünen. Der Rest ist Geschichte.

Schon vor dem Mauerfall veranstalteteten Oppositionelle im Juni 1989 den ersten Ostberliner Umwelttag. Bild: AP

Carlo Jordan hat beruflich mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zu tun, als freier Dozent und im Stasimuseum in der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße. Wenn er über die DDR-Zeit spricht, klingt er jedoch nicht wie ein professioneller Geschichtenerzähler. Jedenfalls nicht während des Gesprächs in seiner Wohnung in der Fehrbelliner Straße. Es geht um den Ostberliner Umwelttag im Juni 1989, den er mitorganisiert hatte. Der 58-Jährige muss eine Weile überlegen. Er blickt mit seinen freundlichen Augen durch die Nickelbrille und sagt: "Es war ja nicht das große Ereignis in dem Jahr."

Allerdings. 1989 passierte zu vieles, was als unvergesslich im persönlichen und kollektiven Gedächtnis der Deutschen abgespeichert ist. Genschers Balkonrede, die Demonstrationen gegen die DDR-Führung, Schabowskis Pressekonferenz, das Schlangestehen an den Übergängen. Zwischen all den historischen Momenten ist der erste Ostberliner Umwelttag im Juni 1989 schlicht in Vergessenheit geraten. Carlo Jordan weiß nicht mal mehr genau, an welchem Tag er stattfand.

Seit seiner Einführung durch die UNO 1972 wird der Weltumwelttag an jedem 5. Juni begangen. In der DDR wurde der Termin offiziell eher ignoriert, angesichts der, im Wortsinn, zum Himmel stinkenden Realität kein Wunder. Dabei stand der Schutz der Heimat und ihrer Natur sogar als Ziel in der Verfassung. Aber wie es tatsächlich vielerorts aussah, darüber deckte man öffentlich den Mantel des Schweigens. Die Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung durch volkseigene Betriebe, Altbauwohnungen oder auch Privatautos hätte kaum Platz für Eigenlob in Sachen Umweltschutz gelassen. Selbst die meisten DDR-Bürger regte das Thema weniger auf als diverse Versorgungslücken.

Vor allem unter den jüngeren Leuten gab es jedoch ab Ende der 70er-Jahre einige, die nicht gleichgültig auf die Zerstörung ihres Lebensraumes reagierten. Zu ihnen gehörte der Bauingenieur und Philosoph Carlo Jordan, der mit Freunden Fahrradtouren zu den Standorten der Umweltverschmutzung rund um Berlin veranstaltete. Eine solche ungewöhnliche Protestform nannte sich "Friedensfahrt ohne Sieger" und führte 1983 unter anderem zur Zementfabrik in Rüdersdorf. "Wir waren natürlich auch von der grünen Bewegung im Westen inspiriert."

Jordan und weitere Ostberliner Oppositionelle gründeten 1986 die Umwelt-Bibliothek, aus der sich nach internen Streitigkeiten einige Mitglieder verabschiedeten und 1988 das grün-ökologische Netzwerk Arche gründeten. Weil der DDR-Staat fundamentale Kritik an den Umweltverhältnissen - zu Recht - als Kritik an den allgemeinen Verhältnissen in seinem Land begriff, deutete er die Umweltschützer als Staatsfeinde. Sofern sich die Naturfreunde nicht dem staatsnahen Kulturbund angeschlossen hatten, wurden sie von der Stasi als feindlich-negative Kräfte mit den üblichen Methoden bekämpft.

Leute wie Carlo Jordan agierten deshalb unter dem Schutz der evangelischen Kirchendächer. Dort fanden regelmäßig Ökologieseminare mit Teilnehmern aus der ganzen DDR und aus osteuropäischen Ländern statt. Hier wurden die Umweltsünden beim Aufbau des Sozialismus im kirchlichen Rahmen öffentlich gemacht. Eine größere Öffentlichkeit fanden sie über die Westmedien, denen die Mitglieder der Umwelt-Bibliothek und des DDR-weiten Arche-Netzwerks heimlich Artikel schrieben (von 1986 bis 1989 gab es eine Ostberlin-Seite in der taz) und Filme über Smog oder Waldsterben im Lande zulieferten.

Dabei wurde auch die Ost-West-Kollaboration nicht verschwiegen. In einem Brief an den hessischen Umweltminister protestierten die Arche-Mitglieder gegen den Müllexport in die DDR. Dass Umwelt keine Grenzen kenne, lautete denn auch ein zentrales Motto des Ostberliner Umwelttages. Die Idee dafür war aus der Arche-Gruppe Ökologie-Menschenrechte heraus entstanden. "Zu der gehörten viele Ärzte und Wissenschaftler, meistens Antragsteller (auf Ausreise, Anm. d. Red). Sie engagierten sich, um schnell in den Westen ausreisen zu können", erzählt Jordan.

Er selbst wollte nie aus der DDR raus, teilte aber den Drang der anderen, Umwelt- und andere Missstände an die Öffentlichkeit außerhalb der Kirche zu tragen. "Der Umwelttag war keine direkte Demonstration der Opposition, die Aktionen hatten etwas Buntes, fast Spielerisches und führten hinaus aus der Kirche ins Offene." So wurde eine Dampferfahrt auf der Spree gemacht, bei der Umwelttagsteilnehmer die "offiziell nicht vorhandenen Einleitungen von den maroden Industriebetrieben vom Schiff aus beobachteten", wie sich Arche-Mitstreiter Vollrad Kuhn erinnert. Da man für die Besichtigungstour zu den VEB-Umweltsünden schwerlich ein Schiff mieten konnte, fuhren die Oppositionellen auf einem Spreedampfer zusammen mit normalen Ausflüglern. Derweil zogen andere Umwelttagsteilnehmer durch Ostberlin, um sich den Frevel beim Stadtumbau anzuschauen. Statt die Altbausubstanz zu sanieren, hatte die vorzeigesüchtige DDR-Führung lieber das Nikolaiviertel pseudohistorisch modernisieren lassen.

Im Gemeindesaal der Bekenntniskirche in Treptow befand sich das Tagungszentrum für die rund 700 Teilnehmer des Umwelttages. Dessen mauerübergreifender Ansatz spiegelte sich auch in einer Ausstellung. Um die Luftverschmutzung trotz Mangel an Daten für den Ostteil der Stadt zu belegen, wurden die Westberliner Smogwerte gezeigt. Angeprangert wurde zudem die Entladung des Westberliner Sondermülls in Schöneiche. "Unterschriftenlisten waren in der DDR verboten, da haben wir eben eine Eingabe ans Umweltministerium geschrieben, Eingaben waren erlaubt", erinnert sich Matthias Voigt, der die Müll-Gruppe leitete.

Über den Westmüllimport hätten die Ost-Ökos gern mit der grünen Westberliner Umweltsenatorin Michaela Schreyer (Grüne) diskutiert. Dass sie nicht kam, werteten die Ostberliner als Zeichen, dass sie wohl lieber mit der DDR-Regierung kungelte. Wahrscheinlich aber hatte sie nur keine Zeit, weil auch in Westberlin Weltumwelttag war und die dortige grüne Basis nach der Senatorin verlangte. Ein paar ALer ließen sich jedoch im Osten blicken. Zum Beispiel Hartwig Berger, der als einer der wenigen Westgrünen mit Interesse am Osten galt und so die Schatten mitbekam, die die bald folgenden historischen Ereignissen vorauswarfen. Carlo Jordan thematisierte in seiner Grundsatzrede ausdrücklich den Betrug bei den Kommunalwahlen kurz zuvor und forderte Neuwahlen unter erstmaliger Beteiligung einer Grünen Liste.

So viel politische Anmaßung durfte auch den offiziellen Stellen nicht entgangen sein. Sie versuchten hinterher zu retten, was nicht mehr zu retten war. Vollrad Kuhn: "Wir Arche-Leute wurden nach dem Umwelttag vom Magistrat zu einem Gespräch eingeladen, wo man uns anbot, beim nächsten Mal doch bitte gemeinsam was zu machen. Die hatten von der Stasi einen auf den Deckel bekommen. Dahinter steckte natürlich die Absicht, unsere Unabhängigkeit und Kritik zu verhindern. Die wollten uns so ähnlich wie die Stadtökologiegruppen im Kulturbund einbinden und unter Kontrolle haben."

Einen zweiten Berliner Umwelttag, den man 1990 mit den Westberliner Grünen gemeinsam veranstalten wollte, gab es nicht. Die Umweltbewegten wurden von den Ereignissen überrollt. "Wir waren mit ganz anderen Problemen befasst", erinnert sich Jordan. "Aus der Arche sind im November 1989 zugleich die Grüne Partei und die Grüne Liga hervorgegangen. Unsere beschränkten Möglichkeiten sind dann auch vom politischen Prozess und den vielen Wahlen aufgesaugt worden." Als junger Abgeordneter in der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung habe er 1990 jedoch gleich durchgesetzt, dass nach Westberliner Vorbild die erste Busspur im Osten, in der Friedrichstraße, eingeführt wurde. Seither habe sich zwar einiges beim öffentlichen Umweltschutz in Berlin getan. "Aber etwas schade ist es schon, dass der Umwelttag als vielseitige Veranstaltung nicht bis heute fortgeführt wurde."

MATTHIAS VOIGT, NETZWERK ARCHECARLO JORDAN, ORGANISATOR DES UMWELTTAGS

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