Kommentar EU-Wahlen: Das einige Europa

Die Ergebnisse der Europawahl demonstrieren, wie ähnlich sich die europäischen Gesellschaften inzwischen geworden sind.

Jetzt jammern sie wieder, die Eurokraten wie die Skeptiker, über geringe Wahlbeteiligung und mangelndes Interesse an Europa. Dabei zeigen die Wahlergebnisse aus den 27 Mitgliedstaaten bei näherer Betrachtung das genaue Gegenteil. Sie demonstrieren, wie ähnlich sich die europäischen Gesellschaften inzwischen geworden sind, nach zwanzig Jahren beschleunigter Globalisierung und offener Grenzen. Trotz nationaler Eigenheiten weisen die großen Trends dieser Wahl in erstaunlich ähnliche Richtungen.

Da wäre zunächst der Aufschwung der Grünen. Sie stützen sich auf eine gebildete und international vernetzte Klientel, die stets zur Stimmabgabe motiviert ist und bei aller Kritik an Brüsseler Entscheidungen nicht zu grundsätzlicher Euroskepsis neigt. Sie profitieren aber auch von dem Gefühl, dass die aktuelle Krise mehr ist als nur ein Problem der Ökonomie, dass sie etwas aussagt über die Grenzen der überkommenen Wachstumsidee. Erleichtert wird den meisten Grünen-Wählern dieser Postmaterialismus freilich dadurch, dass sie selbst materiell nicht darben.

In Nöten ist europaweit die Sozialdemokratie, erstaunlicherweise ganz unabhängig davon, ob sie in den jeweiligen Ländern gerade regiert oder nicht. Keine politische Formation hat ein materialistischeres Weltbild als die klassische Arbeiterbewegung seit Karl Marx; entsprechend traditionell sind ihre Rezepte gegen die Krise. Der britische Premier Gordon Brown legt Rettungspakete in Rekordhöhe auf, der Deutsche Frank-Walter Steinmeier reicht großzügig Staatshilfen aus. Diese Form des hergebrachten Sozialpaternalismus überzeugt offenbar weder die Profiteure noch die Beschäftigten in den Betrieben, die auf eine Rettung vergeblich warten.

Die Misere der Sozialdemokraten lässt die Erfolge der Konservativen größer aussehen, als sie sind. In Italien hat sich Silvio Berlusconi knapp behauptet, in Spanien konnte die oppositionelle Volkspartei von den desaströsen Wirtschaftsdaten des Landes nur wenig profitieren, die deutschen Konservativen erzielten das schlechteste Europaergebnis ihrer Geschichte. Auch die politische Rechte leidet unter dem Nachlassen von Parteibindungen und gesellschaftlicher Polarisierung. Ihr größerer Pragmatismus, die Zuschreibung von Wirtschaftskompetenz, die Suche nach Bewährtem in der Krise haben sie gleichwohl vor dem Absturz bewahrt.

Das vielleicht überraschendste Ergebnis der Wahl ist, dass die extreme Rechte aufs Ganze gesehen von der Krise bislang nicht profitiert. Ihre herausstechenden Erfolge in einzelnen Ländern haben jeweils lokale Ursachen - den Absturz der Niederlande aus dem vermeintlichen Paradies des Multikulturalismus, die Mutation Ungarns vom sozialistischen Vorzeigestaat zum kranken Mann des europäischen Ostens. Noch vor wenigen Jahren konnte man glauben, die politische Gemeinsamkeit der Europäer erschöpfe sich in einer wachsenden Vorliebe für antieuropäische Protestparteien. Jetzt sind die Nationalisten die Einzigen, die sich dem internationalen Trend entziehen.

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