taz-Veranstaltung: China trotz Repression freier geworden

20 Jahre nach dem Massaker vom "Platz des Himmlischen Friedens" hat sich manches verbessert. Die KP wird trotzdem wohl noch lange den Staat eisern lenken. Eine kleine Bilanz.

Chinas Opposition ist ausdifferentierter und die Studenten sind apolitischer: Sinologe Gunter Schubert, Nora Sausmikat, taz-Asienredakteur Sven Hansen und Filmemacher Shi Ming ziehen Bilanz. Bild: taz

BERLIN taz | Wie weit es in China 20 Jahre nach der Niederschlagung der Demokratieproteste mit der Meinungsfreiheit gediehen ist, hat die chinesische Regierung in diesen Tagen mal wieder bestens bewiesen: Mehr als 6.000 Webseiten wurden geschlossen, Blogs und Kommunikationsportale wie Twitter gesperrt.

Wie in den vergangenen Jahren gingen die chinesischen Sicherheitsbehörden außerdem gegen Dissidenten vor und ließen auch ausländische Journalisten nicht auf den Platz des Himmlischen Friedens in Peking.

Und dennoch: Abgesehen von so symbolträchtigen Jahrestagen wie den 4. Juni sind die Informationsmöglichkeiten und die persönlichen Freiheiten in China größer als je zuvor, sagt der Tübinger Sinologe und Politikwissenschaftler Gunter Schubert. Selbst Proteste seien möglich.

Über das hohe Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte in China staunt die ganze Welt. Doch welche Veränderungen hat es im selben Zeitraum auch im politischen System im Reich der Mitte gegeben? Dieser Frage widmete sich die taz auf einer Veranstaltung am Mittwoch im hauseigenen tazcafé.

Auf dem Podium saßen neben Professor Schubert auch Nora Sausmikat vom EU-China Civil Society Forum, einem von der EU geförderten Projekt der Asienstiftung in Essen, sowie Shi Ming, Journalist und Filmemacher aus Peking. Shi Ming lebt in Köln und hat einen Dokumentarfilm über die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung von 1989 gemacht.

Trotz sozialer Proteste, Korruption und anhaltender Kritik von Dissidenten sei das politische System nicht nur "hinreichend stabil", um auch weiterhin fortzubestehen, so Schubert. Es werde auch vom größten Teil der Bevölkerung als legitim erachtet.

Zusammen mit dem Sinologen Thomas Heberer hat Schubert untersucht, wie zufrieden die Menschen in der Stadt und auf dem Land mit dem Regime sind. Das Ergebnis sei eindeutig, so Schubert. Die Installierung eines Rechtssystems, der Aufbau eines Sozialsystems und Mitbestimmung auf lokaler Ebene würden den Chinesen das Gefühl einer zunehmenden Demokratisierung geben - "ohne einer wirklichen Verschiebung der Machtverhältnisse".

Radikale Systemkritiker würden zugleich massiv unterdrückt. Schubert glaubt, dass die Kommunistische Partei auf diesem Weg noch lange an der Macht bleiben wird. "Auch in 20 Jahren wird es im Osten nicht viel Neues geben."

Aus Sicht von Nora Sausmikat unterscheiden sich die heutigen Studenten und Intellektuellen von denen von 1989 vor allem darin, dass sie zwar mehr Freiheiten genießen und auch der Zugang zu Informationen leichter geworden ist. Zugleich sei die chinesische Gesellschaft stärker ausdifferentiert.

Anders als 1989, als sich auch viele Bauern und Arbeiter dem Studentenprotest anschlossen, sei es für Regimegegner im Jahre 2009 wesentlich schwerer, Allianzen zu schmieden. Hinzu komme, dass die Studenten von heute "apolitischer" seien.

Es gebe zwar durchaus sozial engagierte Intellektuelle. Sie würden sich jedoch für einzelne Themen wie Umweltschutz oder Frauenrechten einsetzen. Die große Systemfrage werde aber kaum gestellt. "Der politisch Interessierte von heute engagiert sich in der Umweltbewegung oder wird Politikberater eines regierungsnahen Thinktanks", urteilt Sausmikat.

Der Journalist Shi Ming berichtet über die im vergangenen Dezember in China von Bürgerrechtlern unterzeichnete Charta 08, die sich an der tschechoslowakischen Charta 77 orientiert und neben politischen Reformen auch eine Neubewertung der Niederschlagung der Demokratieproteste fordert. Darin wird die regierende Kommunistische Partei aufgefordert, Meinungsfreiheit zu gewähren, freie Wahlen zuzulassen und die Armee der Regierung zu unterstellen und nicht der KP.

Zugleich weist Shi Ming auf den "neoliberalen Charakter" dieses Manifests hin. Auch der Schutz von Privateigentum wird gefordert, weswegen unter anderem auch eine Gruppe von Wohnungseigentümern und Immobilienspekulanten zu den Unterzeichnern gehören.

Interessant für Shi Ming ist auch gar nicht so sehr, was konkret in der Charta gefordert wird, sondern der Prozess der Kompromissfindung. Die Verfasser betonen ausdrücklich, dass es sich um "kein Papier der Opposition" handelt. Das hat die Regierung zwar nicht davon abgehalten, einige der Verfasser dennoch einzuschüchtern. Die Repression sei aber wesentlich geringer ausgefallen als die Verfasser erwartet hatten.

Das drücke den – wenn auch langsamen – Bewusstseinswandel innerhalb der chinesischen Führung aus. Immerhin 8.000 Chinesen haben die Bürgerrechtserklärung inzwischen unterzeichnet.

Uneinig waren sich die Referenten, ob es Risse innerhalb der Kommunistischen Partei gibt. Während Schubert keine Ansätze einer Parteienspaltung erkennen kann, weist Shi Ming auf interne Machtkämpfe hin, die es in den vergangenen Jahren zwischen dogmatischen Marxisten und Marktliberalen durchaus immer wieder gegeben habe.

"Man kann mit Armeen Macht erhalten, man kann auch mit Markt Macht erhalten", so Shi Ming. Momentan gebe es bei der KP eben den Konsens, dass Marktöffnung deren Macht erhalte.

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