Radikales Krisenmanagement in Lettland: Familienministerium weggekürzt

Wer kann sich am wenigsten wehren? Mit drastischen Kürzungen in der Verwaltung, bei Lehrern und Sozialleistungen will Riga versuchen, das Staatsdefizit unter Kontrolle zu bekommen.

Spagat der Regierung: Die extremen Kürzungen können das Land retten, aber auch soziale Unruhen auslösen - wie schon Anfang des Jahres (Bild). Bild: dpa

RIGA taz | "Jedes Land und jeder kluge Politiker weiß das: Das höchste Gut sind unsere Kinder. Vergessen wir das, können wir unsere Zukunft vergessen." Ainars Bastiks ist Lettlands Familien- und Kinderminister. Sein Ministerium gibt es bald nicht mehr. Es fällt den Kürzungen im Staatsbudget zum Opfer wie andere Bereiche der staatlichen Verwaltung.

Bis zum Schuljahresbeginn am 1. September werden 4.000 Lehrer entlassen. Spätestens in drei Jahren soll es nur noch 24 Krankenhäuser geben. Bislang sind es noch 56. Wie viel Beschäftigte im Gesundheitswesen betroffen sein werden, steht noch nicht fest. Die Gehälter aller Staatsbediensteten waren schon Anfang des Jahres pauschal um 15 Prozent gekürzt worden, eine Senkung um weitere 20 Prozent soll nun folgen.

Lettland versucht sich mit einem Kahlschlag aus der Finanzkrise zu sparen. Freiwillig geschieht das nicht. Das vor der Pleite stehende Land hatte Ende vergangenen Jahres vom Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Kredit in Höhe von 7,5 Milliarden Euro genehmigt bekommen. Das entspricht einem Drittel des jährlichen Bruttoinlandsprodukts. Die Bedingung: Das Staatsdefizit darf die Grenze von 5 Prozent nicht übersteigen. Die letzte Rate in Höhe von 200 Millionen Euro hat der IWF bereits gestoppt. Denn Riga konnte einen entsprechenden Haushalt nicht vorlegen.

Die massiven Budgetkürzungen, die man jetzt in Aussicht stellt, würden das Staatsdefizit immer noch auf über 7 Prozent ansteigen lassen: mehr, als der IWF genehmigt hat. Doch der scheint nun doch ein Einsehen zu haben. Laut Finanzminister Einars Repse zeichnet sich eine Lösung ab. Zum einen, weil die Rezession in diesem Jahr mit 15 bis 18 Prozent wesentlich dramatischer auszufallen verspricht als erwartet. Damals rechnete man mit 5 Prozent. Zum anderen, weil Riga einen Plan präsentierte, wie das Staatsdefizit im kommenden Jahr auf 3 Prozent zurückgeführt werden soll.

Offiziell gibt es die Zustimmung des IWF noch nicht. Doch Christoph Rosenberg, IWF-Chef für das Baltikum, bestätigte gegenüber der schwedischen Wirtschaftszeitung Affärsvärlden, dass das IWF-Programm für Lettland justiert werden soll: "Man kann nicht einfach sagen, ihr müsst euch an das halten, was vereinbart war." Die Wirtschaftskrise hat zu einem massiven Einbruch bei Steuereinnahmen geführt. Allein das Mehrwertsteueraufkommen verminderte sich um ein Viertel mehr als im Januar prognostiziert.

Doch auch die nun ins Auge gefasste 7-prozentige Defizitgrenze würde eine Kürzung des lettischen Staatshaushalts um 40 Prozent bedeuten. Ein "Experiment", so Finanzminister Repse. Es werde deshalb neben den angekündigten Einsparungen "Veränderungen" bei Sozialleistungen geben. Im Januar hatte die erste Kürzungsrunde im Sozialsektor zu schweren Unruhen geführt und die damalige Regierung zum Rücktritt gezwungen. Zwischenzeitlich hat sich die Arbeitslosenrate auf 14 Prozent verdoppelt. Angesichts nun angekündigter Schließungen von Schulen und Kliniken könnte Lettland vor einer weiteren Protestwelle stehen.

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