Kommentar Kurzarbeit-Boom: Heimwerken für alle

Die Politik setzt mit ihrem Kurzarbeit-Kurs auf den nächsten Aufschwung. Dabei hätte auch die Idee einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung Aufmerksamkeit verdient.

1,4 Millionen in Kurzarbeit! Wer dieser Tage die neuen Zahlen zur Kurzarbeit liest, der kramt vielleicht doch noch mal die verstaubten Archivordner heraus. Von damals, als man die Verkürzung der Arbeitszeit als Heilmittel betrachtete, um Beschäftigung zu sichern und neu zu verteilen.

Zur Erinnerung: Im Oktober 1993 informierte der Vorstand der VW AG die Öffentlichkeit darüber, dass aufgrund von akuten Absatzproblemen der Konzern vorübergehend die Arbeitszeit auf 80 Prozent reduzieren und die Viertagewoche einführen müsse. Die Beschäftigten verzichteten zum Ausgleich auf Lohnbestandteile. Deutschland feierte die Viertagewoche als neues Arbeit-Freizeit-Modell. JournalistInnen erkundigten sich interessiert, was die Leute in der freien Zeit nun wohl so täten, ob sie mehr heimwerkelten oder mehr Zeit mit ihren Familien verbrächten.

Der Tenor zur heutigen Kurzarbeit ist anders. Die einen betrachten sie als Übergangsphase, bis die Industrie aus welchen Gründen auch immer wieder auf die Füße kommt. Die andern sehen die Kurzarbeit als Galgenfrist, bis dann doch Massenentlassungen anstehen. Doch vielleicht ist diese Polarisierung falsch.

Früher, in den 90er-Jahren, ging es nicht um Auf- oder Abschwung, sondern um die dauerhafte Anpassung eines begrenzten Arbeits- und Auftragsvolumens an eine große Zahl von Jobsuchenden. Die Verfechter von Verkürzungen erwarteten, dass dieses Volumen eher schrumpft und man deshalb um Verteilungsfragen, um eine Art bewusster Beschränkung, nicht herumkommt. Heute diskutiert niemand mehr darüber, wie man eine solche Verteilung in den Firmen fördern könnte, ob das überhaupt organisierbar wäre. Stattdessen wettet die Politik auf den Aufschwung, als hätte man nicht schon genug schlechte Erfahrungen mit Wetten gemacht. Dabei hätte die Idee der kollektiven Arbeitszeitverkürzung durchaus Aufmerksamkeit verdient.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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