Kolumne Fernsehen: Prominenz verpflichtet

Vor Gericht darf man schweigen. Wer aber von einer Kamera erwischt wird, muss auch etwas sagen.

"Verona Pooth hat ja nun wirklich viel für diese Nation getan", sagt die Schauspielerin Katy Karrenbauer und meint, das müsse man doch auch bedenken. Sie lächelt nicht bei diesen Sätzen, sie zwinkert nicht mit den Augen, sie erklärt sich nicht. Sie meint das offenbar ganz ernst, und sie lässt mich am frühen Morgen mit meiner Ratlosigkeit allein. Noch vor der ersten Tasse Kaffee.

Gefallen ist die erstaunliche Äußerung bei der siebten Verleihung des Felix Burda Awards, mit dem Menschen ausgezeichnet werden, die sich für die Darmkrebsvorsorge einsetzen. Zur festlichen Gala ist auch Verona Pooth erschienen, die derzeit Probleme mit dem Finanzamt hat, und eine Reporterin des Frühstücksfernsehens von Sat.1 fragte andere Gäste, was sie vom Auftritt des Werbestars halten.

Ein wunderbar belangloses Thema anlässlich einer Preisverleihung, gegen die gar nichts zu sagen ist. Also eigentlich genau das Richtige, um langsam wach zu werden. Die Betonung liegt auf: langsam. Sätze, bei denen man sofort aus dem Bett fällt, erfüllen um diese Tageszeit den Straftatbestand der Körperverletzung.

Die Frau, die viel für die Nation getan haben soll, äußert sich auch persönlich vor der Kamera: "Meine ehrenamtliche Arbeit nehme ich sehr ernst. Und als Vorbild gehe ich selbstverständlich zur Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung", spricht Verona Pooth. Das ist gut zu wissen - aber was meint sie bloß damit, dass sie "als Vorbild" geht? Warum geht sie nicht einfach als Patientin? Ob Frau Pooth in einer Praxis anruft und sagt: "Guten Tag, ich bin Vorbild von Dr. Wurzelgruber und möchte einen Termin vereinbaren"? Vorstellbar ist das natürlich.

Es ist ja fast alles vorstellbar im Zusammenhang mit dem Medium Fernsehen, das sich längst viel zu wichtig nimmt und deshalb seine Protagonisten verleitet, dasselbe zu tun. Wenn es allein um Verona Pooth ginge und um die seltsame Vorstellung, Prominente müssten für gute Taten nicht mehr tun, als einfach zu existieren: das Problem könnte man ja Dr. Wurzelgruber überlassen. Andere Leute braucht das nicht wirklich zu kümmern. Leider geht es nicht nur um Verona Pooth.

Auch gestandene Fernsehreporter (seltener: Reporterinnen) heben immer häufiger ab. Anders ausgedrückt: Sie scheinen unter einer Form von Allmachtsgefühl zu leiden, die in anderen Berufen als therapiebedürftig eingeschätzt werden dürfte. Symptom des weit verbreiteten Krankheitsbildes ist die feste Überzeugung, jeder Bürger und jede Bürgerin seien verpflichtet, ihnen Rede und Antwort vor laufender Kamera zu stehen.

Ob es sich um einen - angeblich - treulosen Ehemann handelt, um den Besitzer einer - möglicherweise - unseriös agierenden Firma oder auch um einen ehemaligen Banker, von dem die Zuschauer nicht sehr viel mehr erfahren, als dass er heute nicht mehr Banker ist, aber in einer "Luxusvilla" wohnt, die aus allen erdenklichen Perspektiven gezeigt wird: wer nicht bereit ist, sich zu seinem Privatleben oder seinen Vermögensverhältnissen jedem Journalisten gegenüber zu äußern, der unangemeldet vor ihm steht, hat den Schuldspruch über sich selber damit gefällt.

Die Unschuldsvermutung mag vor Gericht gelten. Dort dürfen Angeklagte übrigens auch schweigen. Dem Fernsehen gegenüber darf niemand mehr schweigen. Wer es dennoch tut, wird schon etwas zu verbergen haben, wie dem Publikum bedeutungsschwanger zum gepixelten Bild aus dem Off suggeriert wird.

Mit Aufklärung oder Information hat das überhaupt nichts zu tun. Das ist Mediendiktatur - übrigens auch dann, wenn die Betreffenden sich tatsächlich etwas haben zuschulden kommen lassen. Journalisten sind keine Staatsanwälte, und sie sind auch keine Richter. Da dies aber allmählich in Vergessenheit zu geraten droht, ist es auch nur verständlich, dass Verona Pooth es für geboten hielt, demonstrativ zur Burda-Gala im Berliner Hotel Adlon zu erscheinen. Was blieb ihr anderes übrig? Hier läuft gerade etwas ziemlich aus dem Ruder.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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