Programm des G-20-Gipfel: Ein neues Bretton-Woods?

Wie es mit der Weltwirtschaft weitergeht und ob sich das globale Kapital in Zukunft besser kontrollieren lässt, hängt vom Verlauf dieses Gipfels ab. Hier die sieben Verhandlungspunkte.

Von diesen Herren hängt nun die Zukunft der Weltwirtschaft ab. Bild: reuters

In einem 47 Maßnahmen umfassenden Programm versuchen die Regierungen der USA, Japans, Deutschlands, Großbritanniens, Chinas, Indiens und anderer Wirtschaftsmächte nichts weniger, als dem globalen Finanzsystem einen neuen Rahmen staatlicher Regulierung zu geben. Dieser Versuch ist vergleichbar mit den Anstrengungen, die die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges 1944 bei ihrer Konferenz in Bretton Woods unternahmen. Damals wurden die Grundzüge des Weltfinanzsystems mit Internationalem Währungsfonds und Weltbank entworfen, die noch heute gültig sind.

Und doch ist es erstaunlich, welche Punkte in dem großen Programm der G 20 bislang nicht enthalten sind. Vor allem fehlt ein deutliches Bekenntnis zu einem weltweiten Konjunkturprogramm. Ebenso wenig planen die Regierungen ein gemeinsames Vorgehen, um den Banken die sogenannten giftigen Papiere abzunehmen, die noch immer in den Bilanzen lagern.

1. Internationales Investitionsprogramm: Die Welthandelsorganisation befürchtet, dass der weltweite Handel dieses Jahr um 10 Prozent zurückgehen wird. Der IWF rechnet mit dem erstmaligen Schrumpfen der Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Nähme die Wirtschaftsleistung der USA weiterhin so dramatisch ab wie im vierten Quartal 2008, würde das US-Bruttoinlandsprodukt 2009 um mehr als 6 Prozent sinken. Für Deutschland schätzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) ein Minus von 5,3 Prozent. Großbritanniens Premierminister Gordon Brown und US-Präsident Barack Obama plädieren für einen international koordinierten Versuch, die wegbrechende Nachfrage durch zusätzliche staatliche Investitionen zu ersetzen. Unterstützung erhalten sie von zahlreichen Ökonomen. So hat sich Robert M. Solow, Nobelpreisträger des Jahres 1987, für einen zusätzlichen Konjunkturimpuls ausgesprochen. Und OECD-Chefökonom Klaus Schmidt-Hebbel ist davon überzeugt, dass Deutschland angesichts seiner starken Wirtschaft und des hohen Exportanteils dazu fähig sei, weitere Milliarden gegen die Krise zu investieren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück gehören jedoch zu den größten Bremsern. Auf ihren Wunsch hin findet sich im Entwurf der Abschlusserklärung der Hinweis auf "fiskalpolitische Nachhaltigkeit" und eine notwendige "Exitstrategie aus der expansiven Finanzpolitik" - landläufig heißt das "Sparen". Ein internationales Investitionsprogramm wird in London wohl nicht beschlossen.

2. Bankenrettung und Makrokoordinierung: In zwei weiteren wichtigen Punkten verpassen die G-20-Regierungen die Gelegenheit, gemeinsam zu handeln. Jeder einzelne Staat bemüht sich, so gut es geht, die angeschlagenen Banken von minderwertigen oder unverkäuflichen Wertpapieren zu entlasten. Bisher funktioniert das nirgendwo so richtig. Darum herrscht zwischen den Instituten weiterhin Misstrauen. Die Kreditgewährung untereinander kommt nicht in Schwung - eine wesentliche Ursache dafür, dass die Krise anhält. Gemeinsame Gegenmaßnahmen planen die Regierungen jedoch nicht.

Ebenso wenig wird daran gedacht, eine neue internationale Wirtschaftspolitik zu konstruieren. Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin weist darauf hin, dass die gigantische Verschuldung der USA die Krise erst ermöglicht habe. Um ähnliche Entwicklungen in Zukunft zu unterbinden, müssten die Staaten hohe Leistungsbilanzüberschüsse und Defizite vermeiden. Pläne für eine solche Makrokoordinierung gibt es bislang aber nicht.

3. Kontrolle der Finanzmärkte: US-Präsident Obama, Großbritanniens Premierminister Gordon Brown, Kanzlerin Merkel und ihre Kollegen sind sich darin einig, dass alle "Finanzmärkte, Instrumente und Institutionen" einen "stärker kontrollierenden und regulierenden Rahmen" erhalten sollten. Diese Regierungen wollen nicht länger dulden, dass sich Steueroasen, Bankbilanzen oder Geschäfte von Hedgefonds der staatlichen Aufsicht entziehen.

4. Regulierung der Banken: 25 transnationale Geldinstitute werden inzwischen von neuen Aufsichtskollegien überwacht, darunter die Deutsche Bank und die Allianz. In den Kontrollgremien arbeitet die deutsche Bankenaufsicht mit ihren Kollegen beispielsweise aus Großbritannien und den USA zusammen. Die Zahl der kontrollierten Banken soll demnächst auf 35 steigen.

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy reicht das nicht. Er fordert, eine neue internationale Aufsichtsbehörde zu gründen. Für den Fall, dass der Gipfel keine einschneidenden Maßnahmen beschließt, hat er bereits seine vorzeitige Abreise angedroht. Auch deutschen Kritikern wie dem finanzpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, oder Attac-Vordenker Peter Wahl reicht die neue Bankenkontrolle nicht. Sie fordern eine einheitliche europäische Bankenaufsicht, die alle Institute erfasst und nicht nur die Großbanken.

5. Ratingagenturen und Hedgefonds: Ratingagenturen wie Standard & Poors oder Moodys sind für die Krise mitverantwortlich, weil sie verpackte Immobilienkredite und andere Wertpapiere zu positiv bewertet haben. Gestützt auf die guten Ratings, verkauften die Banken risikoreiche Papiere in alle Welt. Als Konsequenz will man die Agenturen nun einer Registrierungspflicht und Kontrolle unterwerfen. Um die Qualität der Ratings zu verbessern, sollte "Europa eine eigene Zertifizierung für Ratingagenturen entwickeln", sagt Thomas Straubhaar, Chef der Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts.

Auch Hedgefonds, die mit großen Mengen geliehenen Geldes risikoreiche Geschäfte betreiben, sollen stärker reglementiert werden. Den G-20-Plänen folgend, hat US-Finanzminister Timothy Geithner erklärt, dass sich die wichtigsten Hedgefonds künftig registrieren und beaufsichtigen lassen müssen. Die EU-Kommission arbeitet an einem Entwurf, der Ähnliches vorsieht.

6. Steueroasen: Steuerhinterziehung gehört zwar nicht zu den Ursachen der Finanzkrise, doch Finanzminister wie Peer Steinbrück nutzen die Gunst der Stunde, um die bisherigen Steueroasen zur Zusammenarbeit zu bewegen.

Um den Druck zu erhöhen, arbeiten einige G-20-Staaten, darunter Deutschland, an Listen "unkooperativer Territorien" und einem Katalog von Strafmaßnahmen. Obwohl beides im Entwurf des Abschlusskommuniqués genannt wird, ist die Veröffentlichung der Listen vorerst nicht zu erwarten. "Ein großes Schwellenland", vermutlich China, soll dagegen sein. Möglicher Grund: Auch Kapital aus China könnte betroffen sein.

7. Internationaler Währungsfonds: Der IWF wird künftig mehr Geld erhalten, um Staaten in Krisenfällen zu unterstützen. Im Vorfeld des Gipfels wurde diskutiert, die Reserven von 250 Milliarden auf 500 Milliarden Dollar aufzustocken. Zahlen enthält der Entwurf der Abschlusserklärung freilich noch nicht.

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