Bildverleih: Skandalöses Mohnfeld

Die bis 2011 geschlossene Bremer Kunsthalle verteilt 230 ihrer 2.000 Werke als "noble Gäste" an Museen in ganz Deutschland. So etwas hat bisher noch niemand getan.

Erstarrt: Toulouse-Lautrecs "Junges Mädchen im Atelier" in Hamburg. Bild: BREMER KUNSTHALLE

Er sagt, es sei ein bundesweit einzigartiges Modell - und eine erstklassige Werbung obendrein: Wulf Herzogenrath, Direktor der Bremer Kunsthalle, ist sichtlich stolz auf seine Idee, 230 der 2.000 dortigen Kunstwerke während der zweijährigen Umbauphase des Hauses als "noble Gäste" an andere deutsche Museen zu verleihen.

Auf 22 Museen zwischen Kiel, Köln und München hat er die Bilder und Skulpturen seit Dezember 2008 verteilt. Im Norden wurden das Hannoversche Sprengel Museum, das Oldenburger Landesmuseum, die Kieler Kunsthalle sowie die Kunstschau Worpswede bedacht. Außerdem diverse Bremer Museen und die Hamburger Kunsthalle, die ab Sonntag die "Noblen Gäste" zeigt.

Über die Frage, welches Haus welche Werke bekomme, habe man vorher lange nachgedacht, sagt Herzogenrath: "Wir haben überlegt, welche unserer Werkgruppen den Bestand der einzelnen Museen sinnvoll ergänzen könnten." Folglich hat die Berliner Liebermann-Villa Liebermann bekommen, das Kölner Museum Ludwig eine Bereicherung seiner Beckmann-Sammlung. Die Hamburger Kunsthalle wollte ihre französischen Impressionisten ergänzen - und wurde erhört: Gemälde von Monet, Manet, Pissarro, Toulouse-Lautrec und van Gogh sowie Skulpturen von Rodin haben die Bremer ihnen anvertraut.

Damit hat das Hamburger Haus echte Sahnestücke abbekommen, und die Argumente dafür leuchten ein: Dort sind jetzt einträchtig die Ankäufe von Gustav Pauli vereint. Er leitete von 1899 bis 1914 die Bremer und von 1914 bis 1933 die Hamburger Kunsthalle. Pauli galt als unbequemer Modernisierer, der systematisch Zeitgenössisches ankaufte. Sehr früh erwarb er für die Bremer Kunsthalle Gemälde der noch unbekannten Paula Modersohn-Becker sowie deutsche und französische Impressionisten. Damals ein Akt des Nonkonformismus. Claude Monets "Camille" etwa, derzeit in Hamburg zu sehen, verstieß massiv gegen die Etikette: Der noch unverheiratete Maler widmete seiner Geliebten ein veritables Adelsporträt und malte zudem den Stoff ihres Rocks akribischer als ihr Gesicht. Und als Gustav Pauli van Goghs - jetzt in Hamburg prangendes - "Mohnfeld" für Bremen kaufte, gab es einen Skandal: den "Protest deutscher Künstler" gegen moderne französische Kunst in deutschen Museen. Dass von Gogh Niederländer war, störte dabei niemanden.

Diese mutige Ankaufspolitik konnte Pauli als Hamburger Kunsthallen-Chef nur im Ansatz fortsetzen: Einen van Gogh besitzt die Hamburger Kunsthalle bis heute nicht. Aber Pauli blieb progressiv, erwarb Werke von Kokoschka und Marc - in den Augen der Nazis "entartete Künstler". 1933 enthoben sie den Missliebigen seines Amtes.

So ist der Bremer Kunsttransfer eine gute Gelegenheit, sich der personellen Verflechtungen verschiedener Häuser zu erinnern und vergangener Skandale zu gedenken. Und doch fragt man sich, warum Herzogenrath seine Sammlung nicht "am Stück" durch Japan oder Korea touren ließ, anstatt Häppchen auf ganz Deutschland zu verteilen. "Vor einigen Jahren hätten wir sicherlich noch die große, weltumspannende Tour gewählt", sagt er. Aber einerseits seien die Kunst- und damit die Versicherungspreise in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen, sodass die Leihanfragen aus dem Ausland deutlich nachgelassen hätten. "Außerdem müssten die Werke im Ausland touren, weil ja niemand zwei Jahre lang eine fremde Sammlung zeigen will", sagt Herzogenrath. "Wenn man die Werke aber siebenmal ein- und auspackt, wird ihr Zustand, gelinde gesagt, nicht besser." Bei der Ausleihe an deutsche Museen müsse jedes Werk aber nur einmal ein- und ausgepackt werden, denn es bleibe ja zwei Jahre lang am selben Platz.

Überdies hat man diesmal auch besonders empfindliche Bilder ausgeliehen, die laut Herzogenrath in den letzten 20 Jahren selten getourt sind. Warum? "Um sie in Bremen ins Depot zu bringen, hätte man sie ohnehin einmal ein- und auspacken müssen. Da spielt es dann keine Rolle, ob sie ein paar Kilometer mehr fahren und dafür öffentlich gezeigt werden können." Und da die Bremer Kunsthalle durch den Verleih Depotkosten spart, übernimmt sie im Gegenzug einen Teil der Versicherungssumme für die Werke. Den größeren Batzen samt Transport zahlen natürlich die Gastgeber-Häuser.

"Ein ganz normales Leihgeschäft", sagt der Hamburger Kurator Jenns Howoldt. Er ist mit der Ausbeute zufrieden. Dabei habe es natürlich für die Spitzenwerke "mehrere Interessenten" gegeben, sagt Herzogenrath. Aber man habe sich gütlich geeinigt. "Und in den interessierten Museen hat dann letztlich niemand mit dem Fuß aufgestampft und gesagt, wenn ich den van Gogh nicht bekomme, mache ich nicht mit", sagt Herzogenrath. "So reif waren unsere Kooperationspartner dann schon."

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