Auf einem Tanker im Kaspischen Meer: Der Weg des Öls nach Westen

Kapitän Tapdigow transportiert mit der "Babek" kasachisches Rohöl zum Hafen von Baku in Aserbaidschan. Das Land hat sich völlig vom russischen Pipeline-Monopol befreit.

Pipeline vom kasachischen Tengis-Ölfeld zum russischen Hafen Noworossiisk am Schwarzen Meer. Bild: dpa

Über dem Bug brechen die Wellen zu weißem Schaum. Gischt tanzt durch die Luft. "Das Kaspische Meer ist das Meer der Winde", raunt der Kapitän der "Babek", Namisad Tapdigow. Auf der Brücke des aserbaidschanischen Tankers blickt der Kapitän in den Westen. Der Aseri fixiert den Horizont, der am Kaspischen Meer klebt. Die Schiffsschrauben werden von den tief im Rumpf liegenden röhrenden Maschinen angetrieben. Mit voller Fahrt nimmt die "Babek" Kurs auf die aserbaidschanische Küste. Unter dem Kapitän auf der Brücke im Frachtraum des Schiffes sind 11.000 Tonnen Rohöl aus Kasachstan gebunkert.

Der Name des Öltransporters erinnert an einen Volkshelden aus dem achten Jahrhundert. Jener Babek hatte als Anhänger Zarathustras gegen die Araber gekämpft und wurde geköpft. Das Steuerrad der "Babek" ist nicht größer als der Stick einer Computerspielkonsole und verschwindet in der fleischigen Hand des Kapitäns. Es ist ein neues Schiff, vier Jahre alt und mit modernster Elektronik ausgerüstet, und gehört zu einem Verband von vier Zwölftausendtonnentankern der staatlichen Flotte Aserbaidschans.

"Ohne Autopilot war die Seefahrt aufregender", sagt Namisad Tapdigow. Sein Schiff transportiert kasachisches Rohöl - an Russland vorbei - über das Kaspische Meer in den Westen. Die Route macht den Kapitän und das Schiff zu wichtigen Spielern im eurasisch-globalen Poker um die Erdgas- und Ölreserven Zentralasiens.

Was für den Kapitän Routine, ist für die Europäische Union der Vorbote eines energiepolitischen Wunschtraums. Auf einer Konferenz der EU und potenzieller Förderländer wurde vergangene Woche in Budapest der Plan der Nabucco-Pipeline vorangetrieben. Durch die Röhre, die durch die Türkei und Südosteuropa führt, sollen in vier Jahren 31 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Westeuropa strömen. Besonders wichtig für den reibungslosen Betrieb der Nabucco-Pipeline wären die Gasvorkommen am östlichen Ufer des Kaspischen Meeres in Turkmenistan und Kasachstan.

Es ist generell strittig, ob über einen Pipelinebau durch das Kaspische Meer alle Anrainerstaaten oder nur die den Pipelinebau betreffenden Küstenländer bestimmten dürfen. Russland hat als östliches Küstenland ein Wort mitzureden und unternimmt alles, eine transkaspische Pipeline zu verhindern. Der Kreml will mit allen Mitteln sein aus der Sowjetunion geerbtes Pipelinemonopol über die Bodenschätze Zentralasiens zumindest in Richtung Westeuropa verteidigen. Denn nach Osten hat Russland das Spiel schon verloren. Chinas staatliche Ölgesellschaft treibt Pipelineprojekte in Kasachstan voran. Außerdem hat China im vergangenen Juli mit Turkmenistan den Bau einer Pipeline bis ins Reich der Mitte vereinbart.

Die Vereinigten Staaten und die EU suchen unterdessen einen Weg nach Westen, um Erdöl und Erdgas aus der Steppe an Russland vorbei nach Europa zu lenken. Die favorisierte Route führt über das Kaspische Meer nach Aserbaidschan. Das Land am Westufer des Kaspischen Meeres hat sich bereits vollständig aus dem russischen Pipelinemonopol befreit. Gas und Öl aus Aserbaidschan gelangen über Georgien in die Türkei. Aber aserbaidschanisches Gas allein reicht nicht für das Nabucco-Projekt. Dazu müsste Gas vom östlichen Ufer des Kaspischen Meeres kommen, wenn nicht gar aus dem Iran oder dem Irak.

Bisher ist es ruhig auf dem Kaspischen Meer. Im Moment werden mit den Tankern der aserbaidschanischen Flotte jährlich knapp 2 Millionen Tonnen kasachisches Rohöl über das Kaspische Meer nach Baku verschifft - kein Gas, sondern nur Öl. Zusammen mit ihren Schwesterschiffen bildet die "Babek" allerdings eine Vorhut auf dem transkaukasisch-kaspischen Transportkorridor. Daher ist Kapitän Tapdigow ein richtiger Pionier.

Das Rohöl im Rumpf der "Babek" stammt aus dem Herzen der kasachischen Steppe, tausende Kilometer östlich des Kaspischen Meeres unweit der Provinzstadt Kysylorda am Syr Darja. Diese Felder im Herzen Kasachstans sind zu einem großen Teil bereits in chinesischer Hand. Kanadier und Deutsche haben in den 1990er-Jahren das Akschabulak-Feld erschlossen, das südlich des alten sowjetischen Kumkol-Feldes liegt. Nun gehört es den Kasachen und den Chinesen.

Hier steigt einem der Geruch von Erdöl in die Nase. Ein chinesischer Geologe zeigt stolz auf einen Erdklumpen, den ihm ein kasachischer Arbeiter ausgehändigt hat. Das Labor befindet sich in einem Container direkt neben dem neuen Bohrturm. Über tausend Meter tief ist die Bohrung schon vorangetrieben worden. "In spätestens zwei Tagen werden wir auf Erdöl stoßen", sagt der Geologe zuversichtlich. Endlos und flach erstreckt sich die Steppe vom Bohrturm in alle Himmelsrichtungen. Einzig Saxaul-Sträucher vermögen sich in dem sandigen Boden festzukrallen. Am Horizont wird Öl abgefackelt, Fammen lecken hoch in den Himmel. Ungenutzt verbrennt das bei der Ölförderung entweichende Gas. Es sind die unzähligen Flammen von Kumkol, dem größten Ölfeld im zentralen Kasachstan, die wir von Akschabulak aus sehen können. Sie wirken wie Lagerfeuer eines in der Steppe rastenden Nomadenheeres. Akschabulak heißt auf Kasachisch "Geldsack".

Der Chinese Hau Delin übernimmt jeden zweiten Tag die technische Leitung der Ölförderung. Er ist ein ausgewiesener Fachmann, der in der russischen Stadt Ufa studiert und auf den Ölfeldern Chinas sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat. Der Mann mit dem kurz geschorenen Kopf wirkt in Pullover und Jeans unscheinbar, doch seine Befehle an die Arbeiter kommen in bellendem Kommandoton. Jeder Tropfen des von der Firma KazGerMunai auf dem Akschabulak-Feld geförderten Öls - im Jahre 2007 waren das etwas mehr als 3 Millionen Tonnen - umgeht das russische Pipelinenetz. Über 50 Prozent der Produktion werden nach China abgeführt. Rund 100. 000 Tonnen pro Monat fallen für den Westen ab. Der Rest ist für den heimischen Markt in Kasachstan bestimmt. "Nach China zu liefern ist lohnender und einfacher", meint Isturgan Baimuchanow, Präsident des inzwischen kasachisch-chinesischen Joint Ventures in Kysylorda, KazGerMunai. Der Kasache trägt einen schwarzen Anzug zu rosafarbenem Seidenhemd und dunkelrosa Krawatte. An der linken Hand funkelt ein Brillantring. "Der Weg nach Westen ist beschwerlich. Und nach China gibt es nun mal die Pipeline."

Der Weg des Öls nach Westen führt zunächst über den Schienenweg bis zum kasachischen Hafen Aktau am Kaspischen Meer. Dort biegt die "Babek", deren leerer Rumpf hoch aus dem Wasser ragt, langsam ins Hafenbecken ein. Sie kommt aus dem Iran. Ein Bugsierschiff drückt mit voller Kraft gegen den Bug des Tankers, um das Schiff zur Anlegestelle zu manövrieren. Matrosen werfen die Taue ans Ufer, die von Hafenarbeitern um die Eisenpoller geschlungen werden.

Kaum sind die Formalitäten erledigt, schwingt ein Mitarbeiter der kasachischen Pipelinegesellschaft den Füllrüssel über das Deck. Die Matrosen ergreifen ihn und schrauben seine Öffnung an den Einfüllstutzen des Schiffes. Jetzt wird die Fracht in den Schiffsbauch gepumpt. Der Ladevorgang dauert zwölf Stunden. Erst am Morgen wird die "Babek" ablegen können. Die Besatzung ist gut gelaunt und gönnt sich einen Besuch an Land, der ihr im Iran untersagt war.

Am Abend lädt Kapitän Tapdigow zum Dinner. Der Koch bringt aus der zwei Etage tiefer liegenden Kombüse Bratfisch und Hähnchen in die Kapitänskajüte. Der Erste Nautische Offizier, mit Habichtsnase und Schnauzbart, verteilt das Essen. Unterdessen steckt sich der Chefmechaniker, dessen Gesichtszüge den gemütlichen Ausdruck eines Waschbären haben, eine Zigarette an. Rauchen ist auf dem Tanker nur auf der Brücke und in den Räumen des Kapitäns erlaubt. Wodkaflaschen stehen auf dem Tisch der Kapitänskajüte. Trinksprüche machen die Runde, wobei der dritte Toast den im Meer Begrabenen gilt.

Beim Auslaufen hält die aus der Steppe kommende Kälte die Temperatur knapp unter dem Nullpunkt. Nach 24 Stunden zeichnen sich die Umrisse der Halbinsel Abscheron ab, die von der aserbaidschanischen Küste ins Meer hinausragt. Wie Wasserläufer auf stählernen Beinen tauchen vor der Küste bei Baku Ölplattformen auf. Viele der aus der Sowjetzeit stammenden Plattformen sind bereits verlassen. Das Klima ist umgeschlagen. Die Außentemperatur ist um 10 Grad Celsius wärmer, ein mediterraner Duft liegt in der Luft. Ein Schlepper erwartet den Tanker an der Hafeneinfahrt und drückt den Bug der "Babek" in die Fahrtrinne. Der mächtige Rumpf des Tankers schmiegt sich an den Steg und wird vertäut. Der Kapitän tauscht die Uniform gegen einen grauen Straßenanzug und eine Schirmkappe und geht mit einem Teil der Mannschaft von Bord. Er ist zu Hause.

Das von der "Babek" geladene Rohöl hat noch einen weiten Weg vor sich. Es wird in Zisternenwaggons geladen und dann über den Schienenweg durch Georgien an die Küste des Schwarzen Meeres zu den Depots nach Batumi gebracht. Kasachstan hat den georgischen Hafen am Schwarzen Meer 2008 gekauft. Der Krieg in Georgien im vergangenen August hat den kasachischen Öltransport nach Westen nicht eingeschränkt. Zudem hat die gesamtkasachische Gesellschaft KazMunaiGaz Anteile an einer rumänischen Erdölgesellschaft erworben. Kasachstan kann so eigenständig Erdöl direkt an Russland vorbei in die Europäische Union liefern. Genau das wollen die Europäer auch für Gas haben. Der Kapitän Tapdigow hat mit dem Tanker "Babek" dafür den Weg gespurt.

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