Theater von Neil LaBute: Gehen Sie, sofort

Für die Schauspielerin Birte Schrein am Theater Bonn schrieb der Dramatiker Neil LaBute drei neue Einakter. In "Der große Krieg" toben die Beziehungskrisen.

Großes Theater: Neil LaBute. Bild: dpa

Ausgerechnet mit dem Theater Bonn verbindet den amerikanischen Erfolgsdramatiker und Filmregisseur Neil LaBute eine ungewöhnliche Freundschaft. Bereits zum zweiten Mal hat er Stücke extra für Birte Schrein geschrieben und in Bonn zur Uraufführung bringen lassen. Die beiden wechseln E-Mails, seit Neil LaBute sie in der deutschen Erstaufführung seines Stücks "Wie es so läuft" sah - und so begeistert war, dass er der damals Schwangeren ein Stück für eine Schwangere schrieb.

"Helter Skelter" war im Februar 2007 ein großer Erfolg. Nun hat Neil LaBute gleich drei neue "Schrein-Dramen" abgeliefert, und wieder zeigt sie darin ihre Facetten von bedrohlich bis bodenständig, eiskalt und leicht durchgeknallt. Wieder sind die Schauspieler York Dippe und Anke Zillich eigentlich nur brillantes Beiwerk. Und wieder inszeniert die junge Jennifer Whigham.

Neil LaBute ist bekanntermaßen ein Meister darin, die Abgründe der sozialen Kleinzelle in boulevardhafter Leichtigkeit zu biblischer Wucht zu verdichten. Das zelebriert er auch in seinen Filmen - gerade ist sein Thriller "Lakeview Terrace" in Deutschland angelaufen, der den rassistischen Kleinkrieg von Nachbarn seziert. Auch in Bonn geht es um einen Kriegsschauplatz des Wohlstandsbürgers: das Beziehungsende und die anschließenden Verteilungskämpfe.

Neil LaButes Stücke beginnen und enden meist mit den Worten "Stille, Dunkelheit", die hier auf die Bühne projiziert sind. Sie führen gewissermaßen zur theatralischen Ursituation zurück. Es ist ein Glück, dass Jennifer Whigham das respektiert. Sie bleibt reduziert, inszeniert ohne viel Bühnenbild und Requisiten und poliert trotzdem den Wahnsinn heraus, gerade durch kleine Nuancenänderungen von Haltungen und Stimmlagen.

Am Tisch sitzt Paula und wartet auf ihren Freund Jimmy. Oder Exfreund? Auf jeden Fall scheint sie ihn loswerden zu wollen. Er kommt mit seiner Schwester Jamie als Unterstützung, sie haben die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, und schon an Kinnbärtchen und Schlampenlook ahnt man die Unterschichtsgestalten, ein wenig aus der Welt gefallen. Ständig souffliert die massige Schwester ihrem Bruder lautlos flüsternd den Kampftext ins Ohr, weil sie angeblich Stimmbandpolypen hat. Die eiskalt verachtenden Blickwechsel zwischen Schwester und Freundin sind eine Freude. Bald heulen und keuchen sie wüste Rachefantasien gegeneinander. Die Geschwister wirken wie ein symbiotisches und bedrohliches Komikerpaar, bei Paula dagegen weiß man nie, ob sie ihren nahenden Tod nur erfunden hat. Säuberlich packt sie den ungelesenen Arztbericht wieder ein, bevor sie geradezu erleichtert davonrauscht.

In der Pause baut die absurde Schwester als krummer Geist mit Schutztüten über ihren hochhackigen Schuhen den Raum um. Verstohlen nascht sie Chips aus der sparsamen Dekoration. Allein das entfaltet heiteres Befremden.

"Der große Krieg" ist das längste der drei Stücke, hat aber trotz seiner ambitioniert historischen Metaphorik einige Längen. Ein Paar entsorgt die Reste seiner Ehe und hat sich für den Kampf richtig feingemacht - Birte Schrein in durchsichtigem Kleid und tiefem Ausschnitt, Yorck Dippe hat eine bravouröse Wandlung vom grenzdebilen Slacker zum smarten Karrieristen durchgemacht. Sie ziehen sich durch den Dreck und kreisen, fast ein wenig ermüdend, den Totalbankrott ihrer neunjährigen Ehe ein. Er will es halbherzig noch mal versuchen, während sie ihn hemmungslos demütigt, selbstgefällig wie eine satte Katze. Die Chipsschale geht zu Bruch, auf einmal gerät die Beuteaufteilung ins Stocken: Niemand will die Kinder haben.

"Der große Krieg" - so wird in den USA der Erste Weltkrieg genannt. Aus ihm und der späteren Geschichte entleiht das Paar seine schwersten Geschütze, spricht von Schützengräben, Stellungskriegen und sogar von der Wannsee-Konferenz, bis sie im Brettspiel die Aufteilung der Kinder regeln wollen. Doch da bricht Birte Schrein wie aus dem Nichts in Tränen aus und fällt grandios aus der Rolle. "Ich kann damit nicht umgehen als Schauspielerin", schluchzt sie, "ich schäme mich, in so einem Stück mitzuspielen." York Dippe will aber weiterspielen, "sind doch nur noch drei Seiten bis zum Schluss".

Erst jetzt eskaliert es wirklich, die beiden prügeln aufeinander ein und entschuldigen sich ständig bei den Zuschauern. "Gehen Sie sofort zu Ihren Kindern", kreischt Birte Schrein uns schließlich bis zur Erschöpfung an. Und so verwandelt sich die Eheabwicklungsschlacht unversehens in eine Reflexion über die gefühlte (oder echte) Machtlosigkeit von Theater.

Zusammen mit dem letzten Einakter changiert der Abend schön zwischen Schein und Sein, Irrsinn und Wirklichkeit. Auch wenn die Stücke die menschlichen Abgründe nicht ganz so apokalyptisch auf den Punkt bringen, wie man es sonst vom Autor gewohnt ist, so ist daraus doch ein großartiger Schauspielerabend geworden.

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