Stimmungsmache gegen Merkel: Gerhard Schröder wird historisch

Mit Hilfe des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz sucht der frühere Kanzler zu belegen, warum seine Nachfolgerin fast alles falsch macht - auch in der Konjunkturkrise.

Gerhard Schröder 2003 in China. Bild: ap

Man hat ihn schon länger nicht mehr gesehen im politischen Berlin, konnte sich kaum an die Kompaktheit seines Wuchses erinnern und an die tiefe Schwärze seiner Haare. Seltsam vertraut wirken aber die Züge seines Gesichts, sobald er das Chinesische Kulturzentrum betritt. Er hat immer noch die Miene des lauernden Löwen aufgesetzt, des Mannes, der jederzeit zu Angriff und Attacke imstande ist.

Beides hat sich Gerhard Schröder für diesen Donnerstag vorgenommen. Wenige Kilometer weiter nordöstlich wird gerade in einem Sitzungssaal des Bundestags die historische Gesamtbilanz von Rot-Grün verhandelt, müssen sich sein ehemaliger Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier und sein ehemaliger Außenminister Joschka Fischer für die Rolle des deutschen Geheimdienstes im Irakkrieg rechtfertigen. In jenem Krieg also, dem ferngeblieben zu sein bis heute vielen als das größte Verdienst des Kanzlers Schröder gilt.

Kein Wort dazu an diesem Tag. Nicht über eigene Versäumnisse will Schröder reden, sondern über jene seiner Nachfolgerin. Jener Kanzlerin Merkel, von der er noch am Wahlabend vor drei Jahren sagte, es werde sie "nicht geben". Ausgesucht hat sich Schröder dafür einen aparten Termin. Die Leibniz-Gesellschaft, deren Vorsitzender der frühere niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt ist, präsentiert den neuesten Band mit den Werken des Universalgelehrten. Um "Novissima Sinica" geht es in der Schrift aus dem Jahr 1697, um "Das Neuste von China".

Was Schröder damit will, ist nicht schwer zu erraten. Und weil der als unberechenbar geltende Mann in vielem doch sehr berechenbar ist, sagt er es auch. "Die Entdeckung der Hochkultur in China eröffnete dem Westen große Perspektiven", schwärmt er. "Was für eine Aktualität das heute hat!" Diese Perspektiven aber könne man sich durch "öffentliche Anklage" allzu leicht verbauen, findet Schröder - und hat dabei die Tibet-Freundin Merkel im Blick. "Man sollte auf Aktivitäten verzichten, die nur für die deutsche Öffentlichkeit bestimmt sind. Solche Rituale sind keine Basis für eine erfolgreiche Politik", sagt er. "Im Außenministerium sieht man diese Gefahr wohl eher als gegenwärtig im Kanzleramt."

Von China kommt Schröder dann gleich auf Russland. Schon Leibniz habe dem Land eine Brückenfunktion zwischen Europa und China zugewiesen. "Wie recht der Mann hatte", fügt Schröder auch hier hinzu. Dass die Kritik an humanitären Idealen auch für dieses Brückenland anzuwenden sei, darf man sich getrost hinzudenken.

Lobenswert findet Schröder an Russen und Chinesen aber auch deren Bereitschaft zu Reformen. "Die Bemühungen des großen Zaren um innere Reformen" rühmt er mit Blick auf Peter den Großen und dessen "bemerkenswertes Vorhaben, sein Reich aufblühen zu lassen". Im Falle Chinas liegt der Beginn der Wirtschaftsreformen zwar erst 30 Jahre zurück, aber auch hier legten weitsichtige Staatenlenker "die Grundlage für den Aufstieg".

Schließlich wird Schröder doch noch ein bisschen unberechenbar. Obwohl neben vielen Chinesen nur wenige deutsche Journalisten gekommen sind, sagt er etwas zur Wirtschaftskrise. "Gerade jetzt zeigt China mit einem gewaltigen Konjunkturprogramm, was man tun kann", stichelt er gegen Merkel. "Das wünscht man sich auch für Europa." Nötig seien Gelder für Infrastruktur, Bildung und Konsum. Auch eine Abwrackprämie für Kraftfahrzeuge verlangt der frühere Autokanzler. "Meine Hoffnung ist, dass das nach langem Zögern doch beschlossen wird."

Schröder habe seit seinem Auszug aus dem Kanzleramt ernsthaft zu lesen begonnen, versichern Vertraute. Aus der Schrift des Philosophen habe er das zwanzigseitige Vorwort gründlich durchgearbeitet, auch in den Rest des Werks wolle er sich noch vertiefen. Tatsächlich scheint der Mann, der zu Beginn seiner Amtszeit mit geschichtlicher Unwissenheit bisweilen fast zu prahlen schien, mittlerweile nach historischen Begründungen für seine Rolle als Staatsmann zu suchen. Die Methode, wie er Geschichte und Gegenwart verschränkt, ist fast schon bemerkenswert.

Am Ende aber bleibt nach der Leibniz-Lektüre vor allem die Erkenntnis: "Ich nehme dieses Dokument auch als eine Bestätigung für meine Politik."

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