Piraterie vor Somalia: Vom Selbstschutz zur Erpressung

Anfangs wehrten sich Somalias Fischer mit Piraterie gegen Raubfischerei. Längst aber verdienen die Piraten selbst an illegalen Geschäften.

Französische Marine vor Somalia. Bild: dpa

NAIROBI taz Wenn Omar Abdulle Hayle über das Meer vor Somalia spricht, dann spricht er nicht über Piraten oder Marineschiffe. Der ehemalige Fischer spricht über die somalischen Fischgründe: "Die waren einst die reichsten der ganzen Region." Doch 1991 stürzten Rebellen den Diktator Siad Barre, der Staat brach zusammen und damit auch die Küstenwache. "Und dann kamen die Fischtrawler aus Asien und Europa, immer mehr und immer mehr, um unsere Gewässer leer zu fischen", sagt Hayle.

Viele kommerziell gefragte Fische gibt es vor Somalia, allen voran den kostbaren Gelbflossen-Thunfisch. Weil sie keine Regierung mehr hatten, wandten die Fischer sich in ihrer Not an die UN. Deren Experten stellten in einer Untersuchung fest, dass allein 2005 mehr als 700 Fischerboote illegal vor Somalia im Einsatz waren. Den wirtschaftlichen Schaden schätzten sie auf gut 250 Millionen Euro pro Jahr. "Ökonomischem Terrorismus" nennt das Hayle. Lokale Fischer berichteten, wie die ausländischen Fangflotten ihre Boote rammten oder ihre Netze zerstörten. Doch niemand half. "Keiner hat protestiert, als die somalischen Gewässer leer gefischt wurden", sagt Hayle. "Da haben die Fischer sich bewaffnet und gewehrt."

So wie Hayle beschreiben viele Somalis die Geburtsstunde der Piraterie vor Somalia. Und die Geschichte der Fischer, die von den übermächtigen westlichen Fangflotten zu einem Robin-Hood-Dasein auf dem Meer gezwungen wurden, ist zweifellos wahr.

Doch wie alles in Somalia hat sie eine Kehrseite: Die der Warlords, der mächtigen Politiker, Geschäftsleute und Clanführer mit Privatarmeen, die ab 1991 bis zur kurzzeitigen Machtübernahme der Islamisten 2006 Somalia unter sich aufgeteilt hatten und seit dem Sturz der Islamisten durch Äthiopien Ende 2006 inzwischen wieder fast alle Geschäfte kontrollieren.

Warlords ließen sich schon in den 90er Jahren von Kapitänen bezahlen. Dieselben Warlords waren es, die nach dem Schwinden der Fischvorkommen und dem steigenden Unmut die neuen Piratentruppen ausrüsteten - beispielsweise die 200 Mann starken Somali Marines. Ihr Ziel war es nicht etwa, die illegalen ausländischen Fischer zu vertreiben, sondern von ihnen Schutzgelder zu erpressen. Und das, sagt Andrew Mwangura von Kenias Seafarers Association, gilt heute noch. "Die Einnahmen aus der illegalen Fischerei sind ein wichtiges Standbein der Warlords, sie haben die Piraterie im großen Stil und die derzeitige Schutzgelderpressung erst möglich gemacht."

Wenn es um die Piraterie vor Somalia geht, besitzt der Kenianer Mwangura eine Schlüsselposition. Meist weiß er als Erster, wenn ein neues Schiff gekidnappt wird oder ein anderes befreit wurde. Journalisten steht er Tag und Nacht am Telefon für Fragen zur Verfügung. Doch woher er sein Wissen hat, verrät er nicht, auch über die sonstige Arbeit der Seafarers Association schweigt er sich aus. Skrupel kennen die Fischer offenbar genauso wenig wie ihre Hintermänner, die auch noch mit anderen illegalen Geschäften Geld machen, so Mwangura. "Das gleiche System gilt bis heute nicht nur für die illegale Fischerei, sondern auch für die illegale Verklappung von Giftmüll."

Dafür, dass Geschäftsleute im Meer und an der Küste Somalias seit Anfang der 90er Jahre Abfälle abladen, für deren Entsorgung in Europa viel Geld gezahlt werden müsste, gab es 2005 erstmals zweifelsfreie Beweise. Bis dahin hatte es viele Gerüchte gegeben, doch als der Tsunami im Indischen Ozean Ende 2004 auch Somalias Küste aufwühlte, lagen auf einmal rostige Fässer an den Stränden. In Benadir bei Mogadischu und in Hobyo 500 Kilometer nördlich klagten Bewohner über Hautkrankheiten, Atemwegsbeschwerden und schwere Blutungen im Mund- und Unterleibsbereich. Fotos wurden herumgereicht. Manche Fischer, die die Behälter aufbrachen, waren mit eitrigen Geschwüren übersät, andere erblindeten.

Illegale Giftmüllverklappung

"Ich bin überzeugt, dass auch heute noch Abfälle vor Somalia verklappt werden", sagt der UN-Sonderbeauftragte für Somalia, Ahmedou Ould Abdallah. "Darunter sind chemische Abfälle und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch nukleare Materialien." Mit großer Sicherheit stammen die hochgiftigen Abfälle aus Europa, exportiert über italienische und schweizerische Scheinfirmen zu sagenhaft billigen Preisen. Von einer "Mafia" spricht der ehemalige Direktor des UN-Umweltprogramms, Mustafa Tolba, ein besonnener Ägypter. Eine italienische Fernsehjournalistin, die der Geschichte vor einigen Jahren nachgehen wollte, wurde in Somalia gemeinsam mit ihrem Kameramann ermordet. Seither versucht niemand mehr, der Sache auf den Grund zu gehen.

"Es gibt in Somalia sehr wenig Menschen mit Moral", sagt Ould Abdallah. Dass internationale Marinepräsenz vor Somalia die illegalen Aktivitäten eindämmen wird, glaubt niemand. Im Gegenteil: Als somalische Piraten im April den spanischen Trawler "Playa de Bakio" entführten, legte die spanische Regierung in weniger als einer Woche mehr als 750.000 Euro Lösegeld auf den Tisch. Das Thunfisch-Fangboot wurde laut Mwangura auf frischer Tat gekapert, während es in somalischen Gewässern nach Gelbflossen-Thunfischen suchte. Heute müssten wohl EU-Soldaten seine Kaperung verhindern.

MARC ENGELHARDT

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