Helgason über die Island-Krise: "Nie mehr Sushi"

Die Party im "hot spot" Reykjavik ist vorbei: Der Premier schützt sich mit Bodygards, die Bevölkerung kauft CDs und Bücher wie nie. Autor Hallgrimur Helgason über das Ende von Islands Wirtschaftswunder.

Hippe Hauptstadt Reykjavik war gestern: Proteste im November. Bild: dpa

taz: Herr Helgason, wie bisher kein anderes Land ist Island von der weltweiten Finanzkrise erschüttert worden. Der Staat steht vor dem Bankrott, die Wirtschaft bricht massiv ein, die Arbeitslosigkeit steigt rapide. Können Sie da gerade ruhig an Ihrem Schreibtisch arbeiten?

Hallgrimur Helgason: Zufällig hatte ich genau einen Tag vor dem großen Crash Anfang Oktober ein Buch beendet, so dass ich mich danach, anstatt auf meine Arbeit, auf die ökonomische und politische Lage konzentrieren konnte. Und das habe ich auch getan. Dabei vergehen die Tage irgendwie, und du weißt nicht wirklich, was du eigentlich gemacht hast. Du überfliegst die Nachrichten, liest die Blogs, schreibst einen Artikel, hörst Leuten am Telefon zu, gehst zu Protest-Meetings, verfasst ein Gedicht über die Situation. Aber die meiste Zeit bist du nur am Denken, gibst dir alle Mühe, dir einen Überblick über dieses komplizierte Durcheinander zu bekommen.

In den Medien kann man über die jungen Banker lesen, die Island auf die Landkarte des aggressiven Investments gesetzt haben – was nun zu seinem Absturz geführt hat. Würden auch Sie ein spezifisches Milieu identifizieren, das die „kreppa“, wie die Isländer die Rezession nennen, verursacht hat?

Wir hatten hier in Island eine Finanzblase, ein übermäßiges Wachstum der Banken und Unternehmen, die mit dem Kollaps unserer Banken geplatzt ist. Nun haben wir uns mit all den Auswirkungen auseinander zu setzen. Tatsache ist, dass eine Menge kleiner Leute viel Geld verloren hat, manche gar ihre gesamten Ersparnisse. Natürlich können wir dafür der internationalen Krise die Schuld in die Schuhe schieben, aber wir können auch zwei Gruppen in unserer Bevölkerung verantwortlich machen: die rücksichtlosen Banker und Geschäftsmänner, die die Blase auf einem Darlehen nach dem anderen aufgebaut haben und die schlafenden Politiker, die eigentlich die Situation kontrollieren sollten, aber den Gierhälsen erlaubten, frei herumzulaufen und Schulden aufzutürmen in ihrem unerbittlichen Durst nach „Geschäftschancen“ und finanziellem Ruhm.

Im kleinen Island existiert die große Chance, den Leuten auf der Straße zu begegnen, denen Ihre Vorwürfe gelten. Wie gehen die Isländer dieser Tage miteinander um? Herrscht eine Atmosphäre der Aggression gegen die „Sündenböcke“?

Es sagt eine Menge über die Situation, dass in unserem mordfreien Land Premierminister Geir Haarde nun Bodyguards hat, um sich vor seinem Volk zu schützen. Die Leute sind wütend auf ihn und seine Regierung, und sie sind sehr wütend auf den Direktor der Zentralbank, David Oddsson, da er als eine Art Super-Premierminister gilt, als derjenige, der Island eigentlich regiert. Er ist ein früherer Premierminister und Haardes politischer Pate. Oddsson regierte 13 Jahre lang und die „neue Isländische Marktgesellschaft“ war sein Baby. Aber er hat schon lange den Bezug zur Realität verloren und die Fehler, die er in den vergangenen Monaten gemacht hat, haben den Schaden nur noch maximiert. Haarde ist aber unfähig, Oddsson zu feuern, hat er ihm doch praktisch alles zu verdanken. Natürlich sollten wir beide los werden, schließlich haben sie unser Land in den Ruin getrieben. Die Menschen sind auch erbost über die Luxuselite, die sich selbst monatlich Gehälter in Höhe von 100.000 Euro ausgezahlt hat, die Privatjets und Luxusjachten besitzt und dazu Häuser in drei Städten. Es heisst, dass diese Elite es kaum noch wagt, ihre Häuser zu verlassen. Die Menschen in Island haben das Gefühl, dass sie jetzt mit ihren erheblichen Verlusten für das Erste-Klasse-Leben dieser Reichen aufkommen müssen. Dass sie ihr lebenslang Erspartes, ihre Pensionsfonds geopfert haben, nur damit es einigen Bonzen möglich wurde, Jacuzzis in ihre Privatflieger einbauen zu lassen. Es herrschen wirklich schlimme Zustände.

In ihrem Roman „101 Reykjavik“ würdigen sie das lebhafte, zuweilen exzessive Nachtleben der isländischen Hauptstadt. Inwieweit würden Sie den Aufstieg des „hot spot“ Reykjavik mit dem Boom verbinden, den Island durchlebt hat?

Das „hot spot“-Image Reykjaviks kam zuerst auf, angeheizt durch Björks frühen Ruhm und Damon Albarns (Sänger von Blur) Interesse an Island. Das war in den frühen Neunziger Jahren. Der Boom startete nach der Jahrtausendwende. Man kann sagen, dass das „hip-and-cool“-Image Islands, jenes, das die frühen Björk-Jahre geschaffen hatten, half, das Selbstbewusstsein der Business-Wikinger aufzubauen und so die Grundlage für das „wirtschaftliche Wunder“ legte. Aber ich bin mir nicht sicher. Ich denke, man kann eher sagen, die Geschäftsleute haben ihren Nutzen aus der Coolness der Künstler gezogen. Es gab immer eine große Kluft zwischen der Geschäftselite und der kulturellen Elite. Erstere war ein eng zusammenhaltender Haufen von Geheimniskrämern. An Kunst waren Sie nur als Sponsoren interessiert. Nun ist das ganze Geld weg, und alles was wir haben ist Kunst.

Ist die Partylaune im Postzustellbezirk 101 Reykjavik getrübt?

Die Party ist vorbei. All die schicken Restaurants in 101 Reykjavik sind leer. Die Leute wagen es nicht mehr, ihre glänzend schwarzen Range Rovers durch die Gegend zu fahren. Plötzlich ist reich sein ein großes Tabu. Das schlimmste am Kater ist für viele Leute, hören zu müssen, dass alle Welt nun über Island lacht, auf unsere Kosten Witze macht.

Ihr Buch stieß speziell in Deutschland auf so große Resonanz, da zur selben Zeit, die isländische Musikszene ins Scheinwerferlicht gerückt war. Deutsche Verleger brachten verstärkt deutsche Übersetzungen isländischer Autoren heraus. Und selbst isländische Filme fanden hierzulande ihr Publikum. Welchen ökonomischen Effekt hat die „kreppa“ nun auf den Kultursektor Islands?

Ich denke, die „teueren“ Gefilde der Kunst werden am meisten leiden, zum Beispiel Film und der extravagante Teil der Bildenden Künste – all die Installationen á la Olafur Eliasson. Es wird schwieriger werden, Geld zu kriegen fürs Filmemachen und Sponsoren für unverkäufliche Kunstprojekte. Auf der anderen Seite werden andere Medien florieren. Die Leute kaufen Bücher und CDs wie nie zuvor. Wenn die Großen Gatsbys von der Bühne gefegt worden sind, sind es Autoren und Künstler, die auf ihr stehen bleiben. Plötzlich herrscht große Nachfrage nach Schriftstellern und Dichtern, die auf jedem Treffen das Wort erheben, in jeder Zeitung schreiben und Pamphlete verfassen. Über viele Jahre habe ich mich ein wenig einsam gefühlt als einer von gerade mal zwei oder drei Schriftstellern in Island, die Kritik an der politischen Situation geübt hatten. Aber nun haben wir eine Hundertschaft von Stimmen, die ihre Meinung sagen - was großartig ist.

Gab es irgendwelche Experten in den isländischen Medien, die Ihre Landsleute vor der Möglichkeit gewarnt haben, dass die Blase platzen könnte?

Ja, ein paar, und sie sind die Helden des Tages, werden ständig interviewt. Noch letztes Jahr wurden sie als jammernde Verlierer angesehen, Fliege tragende Sonderlinge auf der Kokainparty. Niemand wollte ihnen Gehör schenken, aber nun sind sie die ganze Zeit über im Fernsehen und im Radio. Und sie üben weiter Kritik, sind wenig glücklich darüber, wie die Regierung mit der Krise umgeht. Aber: Immer noch hören ihnen die verantwortlichen Politiker nicht zu, ignorieren weiter den Rat dieser weisen Menschen, die alles vorhergesehen haben, die im Grunde genommen sagen, dass die Isländische Krone tot ist und dass wir die Mitgliedschaft in der EU beantragen müssen – besser heute als morgen. Aber die herrschende Partei hört nicht zu. Noch leugnet sie die Realität, da „König David“ ein Gegner der EU ist. Er würde ja sonst all seine Macht an Brüssel und die Europäische Zentralbank abgeben müssen. Wir leben in einem winzig kleinen Königreich, mit einem verrückt gewordenen Regenten.

Was denken Sie? Würde ein Beitritt zur EU die jetzige Lage Islands verbessern?

Das ist der einzige Weg. Anscheinend sind wir unfähig, auf uns selbst aufzupassen. Wir brauchen jemanden oder eine Art Rahmen, der von außen kommt. Es ist sehr traurig daran zu denken, aber seit unser Land zum ersten Mal im Jahr 874 besiedelt wurde, genossen wir nur eine kurze Periode wirklicher Unabhängigkeit. Das war das „Zeitalter der Saga“, das mit internen Fehden endete und damit, dass wir vom König von Norwegen übernommen wurden. Und da waren wir für eine lange Zeit, bis uns für die darauf folgenden 600 Jahre der dänischen König zu seinen Untertanen gemacht hatte. Wir erhielten unsere Unabhängigkeit 1944, aber damals waren schon die Amerikaner anwesend, mit ihrer Militärbasis. Am Ende war ihr Einfluss auf uns eher psychologischer denn ökonomischer Natur, doch wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass, kurz nachdem sie abzogen, unser Land kollabiert ist.

Aber ist die Rettung von außen das alleinige Mittel, das gegen die Krise hilft?

Das Beste, was aus diesem ganzen Schlamassel hervorgehen kann, ist die komplette Erneuerung der politischen Klasse. Zumindest habe ich die Hoffnung, dass das der Fall sein wird. Die vergangenen Jahre haben uns eine Menge Korruption und Unfähigkeit sehen lassen. Vor sechs Jahren wurden zwei der größten Banken im Mafiastil privatisiert – sie wurden den besten Freunden der Regierung ausgehändigt. Danach hatte sich der Premierminister selbst zum Chef der Zentralbank ernannt. Das hatte eine schlechte Mischung aus Geschäft und Politik zum Ergebnis. Unser Parlament wurde seiner ganzen Macht beraubt und ist nun praktisch sinnlos. Alle Entscheidungen werden von der Regierung getroffen, und die einzige Rolle des Parlaments ist es, die Gesetze, wie von der Regierung gewünscht, durchzuwinken. Die politische Klasse genoss in der vergangenen Dekade leichtes Spiel, blieb praktisch unbehelligt von Wählern und Medien. Von der Öffentlichkeit isoliert, schafften sie es, ihre eigenen Rentenauszahlungen in absurde Höhen zu schrauben, und selbst die nutzlosen Parlamentarier hatten im letzten Jahr noch den Nerv, für sich selbst Assistenten einzustellen. Aber nun sehen diese Leute dem Moment der Wahrheit entgegen. Sie müssen sich denen stellen, von denen sie gewählt wurden und die sie nicht wieder wählen werden. Die Forderung des Tages lautet: Neuwahlen.

In ihrem Buch „Rokland“ kämpft die Hauptfigur Böddi als eine Art moderner Don Quichotte gegen die Dumpfheit, die Kulturlosigkeit und den Materialismus der Isländer. Kann er als tragischer Prophet der jetzigen Krise gesehen werden.

Wenigstens hatte Böddi vor, eine Revolution anzuzetteln. Und das ist es, was einige Leute nun fordern. Er war der einsame Rebell auf dem Höhepunkt des Goldenen Zeitalters: Er wollte unsere Gesellschaft wirklich verändern, dieses materialistische Paradies des Easy-Listening und des hirntoten Fernsehens, wobei er meiner Meinung nach generell die westliche Gesellschaft im Blick hatte. Böddi predigte einen Weg zurück zum Wesentlichen, zu klassischeren Werten. Zum Beispiel, dass wir Isländer unser eigenes Erbe schätzen sollten, das der Sagas und der wahren Poesie. In gewisser Hinsicht ist es das, was im Moment in Island passiert. Wir sind dabei, sehr schnell die gerade erst neu gefundenen und extravaganten Pfade wieder zu verlassen und uns zurück zu unseren Wurzeln zu begeben: Nie mehr Sushi und Champagner. Nun gibt’s wieder „abgehangenes Fleisch“ und „saure Milch“.

Die Isländer bezeichnen sich selbst als tatkräftige Menschen, die in ihrer Geschichte schon viele Krisen gemeistert haben, vor allem solche, die Naturkatastrophen geschuldet waren. Ist dieses Image überhaupt noch zeitgemäß angesichts der Krise.

Am Ende werden wir die “kreppa“ besiegen. Wir sind zähe und starke Menschen. Aber es ist ein herber Schlag für uns, und im Moment versuchen wir mit allen Kräften, uns davon zu erholen. Das wird einige Zeit brauchen. Es ist auch ein großer Rückschritt für ein Land, das im Jahr 1900 noch die ärmste Nation Europas war, das es aber schaffte, innerhalb eines Jahrhunderts den ganzen Weg bis an die Spitze zu erklimmen. Wir glaubten tatsächlich, wir hätten die tragische Vergangenheit hinter uns gelassen, mit all den Gefühlen des Versagens. Aber nun sind wir praktisch zurück in einem Halldór-Laxness-Roman, der Island als „dem Untergang geweiht“ charakterisiert. Laxness schrieb viel über Geschäftsleute, die groß raus kamen, von ihren Erfolgen mitgerissen wurden und ein Leben in Luxushotels aufnahmen. Dort gaben sie auf all ihre Eroberungen Trinksprüche aus und prahlten mit ihrem Reichtum, bis sich dann im nächsten Kapitel herausstellte, dass dieser aus nichts als Luftschlössern bestand. In diesem Kapitel befinden wir uns jetzt.

Auch die gegenwärtige Krise bietet sicher eine Menge Stoff zum Erzählen von Geschichten. Haben Sie schon eine Fiktion im Kopf, die ausdrücklich auf die Ereignisse der letzten Wochen und Monate Bezug nimmt?

Ja. Lange habe ich einen Roman über die „goldenen Jahre“ des frühen 21sten Jahrhunderts verfassen wollen. Ich spüre, dass die Story nun bald an ein Ende kommen wird. Aber ich warte noch auf die letzte Seite, die durch die Geschichte geschrieben wird, bevor ich mit meiner eigenen Version beginnen kann. Wenn all die Geschäfts-Wikinger Mönche geworden sind und alle Politiker abgedankt haben, ist das Ende klar und ich kann los legen.

INTERVIEW: OLIVER POHLISCH

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