Verfassungsgericht kippt Pendlerpauschale: Vorerst gilt die alte Regelung

Die Reform der Entfernungspauschale war verfassungswidrig, urteilt das Gericht in Karlsruhe. Millionen von Pendler können mit eine kräftige Steuerrückzahlung rechnen.

Pendler bekommen für den Arbeitsweg wieder 30 Cent ab dem ersten Kilometer angerechnet. Bild: ap

KARLSRUHE taz Der Bundestag war den Richtern nicht radikal genug. Eine völlig Streichung der Pendlerpauschale hätte das Bundesverfassungsgericht akzeptiert, aber nicht die etwas halbherzige Kürzung. Diese ausschließlich mit Sparzwängen begründete Reform war verfassungswidrig, entschied Karlsruhe am Dienstag.

Vorerst gilt wieder die alte Regelung. Bis 2007 konnten Pendler die Kosten des Arbeitswegs mit 30 Cent pro Kilometer von der Steuer absetzen. Dann schränkte die große Koalition die Pendlerpauschale stark ein. Die 30 Cent wurden nur noch ab dem 21. Entfernungskilometer gewährt.

Der Bundesfinanzhof und andere Finanzgerichte sahen darin einen Verstoß gegen die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Nach dem "Netto-Prinzip" müssten alle beruflich motivierten Ausgaben steuermindernd vom Einkommen abgezogen werden können. Auch die Fahrtkosten der Pendler seien eindeutig beruflich motiviert, meinten die Finanzrichter.

Das Verfassungsgericht war jetzt deutlich zurückhaltender. Es ließ offen, ob die Bürger einen Anspruch auf steuerliche Berücksichtigung ihrer Fahrtkosten haben. Außerdem zeigte Karlsruhe dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten auf, wie er die Pendlerpauschale einschränken oder streichen kann - wenn er es richtig macht.

So könne es Ausnahmen vom Netto-Prinzip geben, wenn der Gesetzgeber einen bestimmten "Lenkungszweck" verfolgt. Zum Beispiel könnte die Abschaffung der Pendlerpauschale umweltpolitisch begründet werden, um lange Anfahrtswege zur Arbeit unattraktiv zu machen. Damit hat der Bundestag aber gerade nicht argumentiert, schließlich wollte er aus sozialpolitischen Gründen ja ausgerechnet die Fernpendler unterstützen. Bei der Reform selbst ging es dem Bundestag nur ums Geld, konkret um eine Erhöhung der Steuereinnahmen um jährlich 2,5 Milliarden Euro. Mit der bloßen Haushaltssanierung könne die Ausnahme vom Netto-Prinzip aber nicht begründet werden, betonten die Verfassungsrichter, sonst wäre jede willkürliche Steuererhöhung gerechtfertigt, weil sie ja mehr Einnahmen bringt.

Ohne Begründung könnte der Gesetzgeber aber ein völlig neues steuerpolitisches System einführen, so Karlsruhe. Denkbar wäre etwa die Einführung des Werkstorprinzips. Danach würden alle Kosten, die vor dem Werkstor anfallen, als privat eingestuft und könnten nicht mehr steuermindernd geltend gemacht werden. So hatte auch die Bundesregierung die Einschränkung der Pendlerpauschale gerechtfertigt.

Ein Systemwechsel müsse jedoch ein Mindestmaß an Stringenz aufweisen, verlangten jetzt die Richter. Der Systemwechsel des Bundestags bei der Entfernungspauschale war ihnen nicht konsequent genug, weil ab dem 21. Kilometer die Pauschale doch wieder wie früher angesetzt werden sollte. Auch die Erklärung, dies sei nur eine Härtefallregelung, wurde nicht akzeptiert. Schließlich komme die Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer auch gut Verdienenden zugute.

Bis auf weiteres gilt jetzt wieder die alte Pauschale von 30 Cent ab dem ersten Kilometer. Alle, die in den Jahren 2007 und 2008 von der Kürzung betroffen waren, bekommen ohne Antrag eine Steuerrückzahlung vom Finanzamt. Für Gutverdienende können dies bis zu 1.320 Euro pro Jahr sein. Viele Steuerpflichtige werden aber leer ausgehen, weil ihre jährlichen Fahrtkosten niedriger sind als der Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 Euro. Für eine Neuregelung setzte Karlsruhe keine Frist. Wenn der Gesetzgeber untätig bleibt, gilt die alte Regelung dauerhaft weiter.

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