Klimaschutz als Verkaufsargument II: "Ökologisches Handeln kann das nicht ersetzen"

Melanie Weber von der Verbraucher Initiative Berlin begrüßt den Boom der klimaneutralen Produkte und Dienstleistungen. Trotzdem sollte jedes Angebot kritisch geprüft werden. "Wichtig ist, zu hinterfragen, wie die Kompensation genau läuft." Viele Angebote seien einfach nur "skurril".

taz: Frau Weber, klimaneutrale Angebote boomen, vom Stillkissen bis zum Blumenstrauß. Eine sinnvolle Art des Klimaschutzes?

Melanie Weber: Sie können sinnvoll sein. Man muss sich allerdings sehr genau anschauen, wer was anbietet. Nehmen wir das Beispiel Reisen. Lässt sich ein Flug nicht vermeiden, ist die Zahlung eines bestimmten Ausgleichsbetrags sinnvoll. Grundsätzlich sollte sich allerdings jeder, bevor er ins Flugzeug steigt, die Frage stellen, ob es keine Alternative gibt.

Also kein Freibrief für Klimasünden?

Auf keinen Fall. Die Nutzung von klimaneutralen Angeboten sollte immer nur als Ergänzung gesehen werden. Ökologisches Handeln kann sie nicht ersetzen.

Angenommen, ein Flug lässt sich nicht vermeiden. Auf was muss ich als Verbraucher achten, wenn ich klimaneutrale Angebote in Anspruch nehmen will?

Wichtig ist, zu hinterfragen, wie die Kompensation genau läuft. Für welche Klimaschutzprojekte wird mein investiertes Geld genutzt? Gibt es eine unabhängige Überprüfung der Projekte? Und ist das Projekt wirklich zusätzlich und kein Projekt, das ohnehin umgesetzt wird?

Gefragt ist also der kritische Verbraucher?

Auf jeden Fall. Die klimaneutralen Angebote schießen derzeit förmlich wie Pilze aus dem Boden. Man kann heute wirklich alles kompensieren, vom T-Shirt bis zur Veranstaltung. Doch wenn ich wirklich sichergehen will, dass mein Geld auch tatsächlich dem Klima zugutekommt, sollte ich mich über das Angebot, das ich in Anspruch nehmen will, vorher gut informieren.

Wo?

Auf der Website des Anbieters etwa. Ein gutes Zeichen ist immer, wenn das Unternehmen direkt auf das konkrete Projekt verlinkt. Skeptisch sollte man werden, wenn es viele Mittlerinstitutionen gibt und nicht direkt nachzuvollziehen ist, wo das Geld am Ende ankommt. Zudem gibt es Standards wie den "Gold Standard", der unter anderem vom WWF entwickelt wurde und von 60 Nichtregierungsorganisationen unterstützt wird. Dabei wird nicht nur geprüft, ob das Projekt ökologisch sinnvoll und zusätzlich ist, sondern auch, ob es den Menschen vor Ort zugutekommt.

Die Verbraucher Initiative ist Mitträger eines der ersten Siegel mit dem Hinweis "klimaneutral", dem Siegel "Stop Climate Change". Vor kurzem haben Sie sich entschieden, das Wort "klimaneutral" durch "klimafreundlich" zu ersetzen. Warum?

Weil es eher den Tatsachen entspricht. Energie wird bei Herstellung und Vertrieb von Produkten immer freigesetzt, deshalb ist das Wort "klimaneutral" irreführend. Es vermittelt, dass keine Energie freigesetzt wird. Und das ist natürlich nicht richtig.

Sind Ihnen denn schwarze Schafe unter den klimaneutralen Angebote bekannt?

Es gibt skurrile Angebote wie die Kfz-Haftpflichtversicherung "Ecomotion" der Allianz. Für jeweils ein Jahr können Verbraucher den CO2-Ausstoß ihres Autos kompensieren lassen. Dabei bleibt allerdings der Energieverbrauch bei der Herstellung des Autos völlig unberücksichtigt.

Erste Bands wie Die Ärzte werben mit klimaneutralen Tourneen. Was halten Sie davon?

Natürlich bessert eine Band in einem solchen Fall mit dem Hinweis "klimaneutral" das eigene Image auf. Auf der anderen Seite setzen solche Bands damit öffentlich ein Zeichen - ähnlich wie Promis, die mit Obama-Stickern herumlaufen. Damit unterstützen sie die Forderung nach mehr Klimaschutz. Und das halte ich grundsätzlich für sinnvoll.

Sind klimaneutrale Angebote ein ernsthaftes ökologisches Engagement oder nur ein PR-Trick?

Das kommt sehr auf den Einzelfall an. Entscheidend ist allerdings, dass die Entwicklung der letzten Jahren eine wichtige Diskussion angestoßen hat. Ob und inwieweit Kompensationsanbieter ihre klimaneutralen Ziele tatsächlich umsetzen, sei dahingestellt. Aber Klimaschutz ist zum breiten gesellschaftlichen Thema geworden. Und das ist entscheidend. INTERVIEW: ANNA SPROCKHOFF

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