Von der Abschiebung bedroht: Paulo hat noch eine Chance

Der 21-jährige Paulo aus Angola lebt seit fünf Jahren in Berlin. Hier beendet er im Sommer seine Ausbildung zum Hotelfachmann und engagiert sich in einer Tanzgruppe. Jetzt droht ihm die Abschiebung

Er spricht über alles. Nur sein Nachname, sagt Paulo, der solle nicht in der Zeitung stehen. "Man weiß ja nie", flüstert er und dreht die Zeitung in seinen Händen zu einer Rolle. "Wer das so alles liest." Im Sommer 2003 ist Paulo aus Angola nach Deutschland geflohen. Drei Tage nachdem sein Vater verhaftet wurde. Dem wurde vorgeworfen, Terrorist zu sein. Einen Tag nachdem seine Mutter gestorben ist. An einem Herzinfarkt. Tief in der Nacht habe ihn ein Onkel mit den Worten geweckt: "Mein Junge, du musst hier weg." Nach Deutschland, das sei ein "politisch korrekter Ort", hieß es.

Anfangs hatte Paulo das kalte Land mit der "Hundesprache" gehasst. Zwei Jahre lang. Dann hat er angefangen zu kämpfen. Heute, sagt der 21-Jährige, ist er angekommen in Berlin. Auf dem Papier allerdings ist er nur geduldet. Noch geduldet.

Paulos Asylantrag wurde abgelehnt. Von der Ausländerbehörde. Vom Verwaltungsgericht. Vom Oberverwaltungsgericht. Weil er in seiner Heimat nicht politisch verfolgt werde, erklärt Traudl Vorbrodt vom Flüchtlingsrat. Sein letzte Chance ist die Härtefallkommission. Dieses siebenköpfige Gremium wird im Januar über den Fall entscheiden. Gibt die Mehrheit ihr Okay, empfiehlt sie Innensenator Körting (SPD), Paulo ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zu gewähren. "Lehnt Körting ab, wird Paulo abgeschoben", sagt Vorbrodt. Sie werde in der Kommission für Paulo kämpfen "wie eine Löwin". Die Chancen stünden gut, erklärt sie. "Denn Paulo hat einfach das Beste aus seinem Leben hier gemacht."

Dazu gehört auch, dass sich der junge Angolaner seit Jahren in der Tanzgruppe Lisanga engagiert. Im zweiten Stock des Kulturhauses Mitte proben sie für ihren nächsten Auftritt. Aus einem tragbaren CD-Spieler dringt Musik. Sie klingt bedrohlich. Gehetzt. Paulo steht in einer Gruppe Jugendlicher. Barfuß, in T-Shirt und knielanger Sporthose, an seinem linken Ohrläppchen blitzt ein Schmuckstein. Sein Blick ist auf Trainerin Lenah Strohmaier gerichtet, konzentriert leckt er mit der Zunge über die Unterlippe. Auf das Zeichen der Trainerin beginnt die Choreografie. Dabei tanzt die schmale Silberkette an Paulos Handgelenk auf und ab. Die Bewegungen der Jugendlichen erzählen von Flucht, der Angst vor Abschiebung, der Abhängigkeit von einem Pass.

"Viele der ausländischen Jugendlichen verarbeiten hier ihre Erfahrungen", sagt Lenah Strohmaier später im Gespräch mit Paulo. Der hat sich derweil umgezogen, sitzt um kurz nach acht in Bluejeans, Fleeceshirt, Chucks und schwarzer Schirmmütze neben seiner Trainerin. Eigentlich hat er nicht viel Zeit, sagt er. Sein Handy klingelt alle fünf Minuten. Arbeitskollegen warten in einer Karaokebar auf ihn. "Und ich bin ungern zu spät."

Paulo hat eine Ausbildung zum Restaurant- und Hotelfachmann angefangen. Wenn er bleiben darf, macht er im Sommer seinen Abschluss. "Mein großer Traum ist ein eigenes Restaurant", sagt er und erzählt von seiner letzten Kochaktion für die Freunde von Lisanga. Afrikanische Küche. "Das war einfach fantastisch", schwärmt Lenah Strohmaier. Überhaupt sei Paulo ein Multitalent. "Er hat auch unsere Kostüme genäht für die letzte Aufführung." Beigebracht hat ihm das seine Mutter, erzählt der 21-Jährige. "Obwohl mein Vater das nie wollte."

Die Erinnerung an seine Familie fällt Paulo schwer. Seine selbstsichere Fassade bröckelt, er wirkt verletzlich, steht mitten im Gespräch auf, holt seine Jacke. Paulo weiß nicht, ob sein Vater noch lebt. Seine Schwester Theresa musste er vor fünfeinhalb Jahren in seiner Heimat Landana zurücklassen. Wo sie heute lebt, weiß er nicht. Einmal habe sie versucht, ihn anzurufen, erzählt er. Die Verbindung wurde unterbrochen. Nun wird Paulo seine Handynummer nicht mehr ändern. "Vielleicht versucht sie ja noch mal, mich anzurufen."

Paulo stammt aus einer "guten Familie". Sein Vater hat sich vom Bauern zum Geschäftsmann hochgearbeitet. Gemeinsam sind sie nach Portugal gereist, nach Spanien oder Frankreich. In einer angolanischen Exklave im Kongo hat Paulo eine Privatschule besucht. "Ich war ein verwöhntes Kind", sagt er. "Mein Vater wollte, dass ich sein Geschäft einmal übernehme. Ich führte in Angola ein gutes Leben." Bis zu jener Nacht im Sommer 2003.

"Mein Vater soll Waffen versteckt haben", erzählt Paulo. Männer holten ihn ab. Später holten Freunde Paulo ab. "Von einem Moment auf den anderen geht die Welt von oben nach ganz unten." Er wurde in ein Flugzeug gesetzt, landete irgendwann in Frankfurt. "Keine Ahnung, ob am Main oder an der Oder." Ein anderer Mann holte Paulo vom Flughafen ab, brachte ihn nach Berlin. Dort verbrachte der damals 16-Jährige die ersten Wochen in einem Auffangheim. "Am Anfang wollte ich nur allein sein und schlafen. Dann habe ich ganz viel gelesen." Irgendwann ist er in eine WG gezogen. "Da habe ich gelernt, höflich zu sein."

Paulo war nicht immer der Musterknabe von heute. Das bestätigt auch sein ehemaliger Betreuer Stefan Cooper vom Integrationsverein evi Berlin. "Als ich Paulo vor mehr als vier Jahren kennen gelernt habe, war er unmöglich, aggressiv, den wollte ich nicht haben", erzählt er. Heute nennt er Paulo seinen "Lieblingsjugendlichen". "Der hat einfach eine unglaubliche Entwicklung gemacht, seinen erweiterten Hauptschulabschluss gemacht, eine Ausbildung begonnen, ist in eine eigene Wohnung gezogen." Paulo wisse genau, was er will. "Der hat seine Ziele immer im Blick."

Paulo selbst sagt, er möchte seine Ausbildung beenden. Einen Job finden. Das Tanzen vorantreiben. Auf die Frage nach seinem größten Wunsch, antwortet er: "Dass die Menschen einmal meine Musik hören." RnB und Soul sind seine Leidenschaften. Schon in der Schule sei er der geheime Superstar gewesen.

Über die Verhandlungen in der Härtefallkommission spricht Paulo nicht. "Ich lebe im Hier und Jetzt", sagt er. Er gibt sich cool, doch die Angst vor der Abschiebung sitze tief, sagt Vorbrodt. "In seiner Heimat, dem Grenzgebiet zum Kongo, erwartet ihn vermutlich der Wehrdienst, und das bedeutet Krieg."

Paulo sagt, er wisse nicht, was in Angola auf ihn wartet. Er möchte in Berlin bleiben, sein hart erkämpftes Leben weiterführen. "Ich habe doch gerade erst wieder laufen gelernt." An einem politisch korrekten Ort. So hat man es Paulo vor seiner Flucht versprochen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.