Wahlen der Sozialisten in Frankreich: Ein Mix aus Hass und Konfusion

Persönliche Abneigung und ideologische Ratlosigkeit prägen Frankreichs Sozialisten. Das Duell zwischen Martine Aubrey und Ségolène Royal ist Ausdruck dieser Krise.

Die klassische Sozialdemokratie hat 4 Promille Vorsprung in Frankeich. Bild: reuters

An der Stichwahl um den Chefposten der französischen Sozialisten beteiligten sich am Freitagabend 137.000 der rund 230.000 Mitglieder. Die Bürgermeisterin von Lille, Martine Aubry, erzielte 50,02 Prozent. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, Ségolène Royal, kam auf 49,98 Prozent. Der Unterschied betrug laut offizieller Auszählung gerade einmal 42 Stimmen. Schon am Wochenende gab es erste Korrekturen und Neuauszählungen in verschiedenen Departments. Teils fielen sie zugunsten von Royal, zum Teil aber auch zugunsten von Aubry aus. Am Dienstag will der Parteirat über die offizielle Anerkennung des Ergebnisses entscheiden.

Nicht einmal zählen können sie bei der französischen Parti Socialiste (PS): Acht Stunden haben sie in der Nacht zum Samstag gebraucht, um ein denkbar knappes Wahlergebnis zu ermitteln: 50,02 Prozent für Martine Aubry, die Bürgermeisterin von Lille und ehemalige Arbeitsministerin. 42 Stimmen Vorsprung gegenüber Ségolène Royal, der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin der PS und Regionalpräsidentin im Poitou-Charentes. Bei fast 233.000 Parteimitgliedern gibt das der neuen Chefin wenig Legitimität und Handlungsspielraum. Doch kaum ist das Ergebnis bekannt, machen Vorwürfe von "Manipulationen", "Fälschungen" und sogar "stalinistischen Machenschaften" die Runde. Die unterlegene Royal verlangt Neuwahlen. Und als bekannt wird, dass in Nordfrankreich, in Westfrankreich sowie in einigen überseeischen Gebieten falsch gezählt wurde, drohen Royals Sprecher mit gerichtlichen Schritten.

Damit beginnt für die PS eine harte Woche. Vielleicht die härteste ihrer 68-jährigen Geschichte. Der scheidende Parteichef François Hollande will versuchen, die auseinanderdriftenden Kräfte in der zweigeteilten Partei zusammenzuhalten. "Das Risiko ist nicht das Auseinanderbrechen, sondern die Konfusion", versucht er eine beruhigend gemeinte Einschätzung. Und ruft seine GenossInnen dazu auf, "ruhig Blut" zu wahren. Für Dienstagabend beruft Hollande den Nationalrat ein. Das Führungsgremium der PS soll das offizielle Wahlergebnis verkünden und die neue erste Sekretärin der Partei bestimmen.

Martine Aubry gibt sich bereits seit der Wahlnacht als die neue Chefin. "Ich werde die Partei aller Sozialisten leiten", sagt sie. Eine neue Wahl "für mehr Klarheit", so wie Royal, aber auch einzelne Leute aus ihrer eigenen Umgebung es verlangen, will Aubry nicht. Ihre Gegnerin ruft Aubry zu einer "verantwortlichen Haltung" auf, "sonst wird die Lage für unsere Partei noch schwieriger".

Royal kommt am Samstagabend, blütenweiß gekleidet, in die Hauptnachrichten des privaten Fernsehsenders TF1 und erklärt lächelnd, wie "erstaunt" sie sei, dass Aubry sich als Siegerin proklamiere, bevor das offizielle Wahlergebnis bekannt sei. "Die Ergebnisse können sich noch umkehren", sagt Royal am Samstagabend. Wenn das Wahlergebnis "sicher" sei, werde sie es akzeptieren, versichert sie. Entgegen Gerüchten aus der eigenen Partei will sie "auf jeden Fall" in der PS bleiben. "Ich gehöre dieser Partei seit 33 Jahren an und ich habe an die 50 Prozent ihrer Mitglieder hinter mir", sagt sie, "natürlich bleibe ich."

Keine der beiden Frauen hat es geschafft, eine klare Mehrheit hinter sich zu bringen. Sollte Aubry als Parteichefin bestätigt werden, stehen der 58-jährigen Sozialdemokratin drei harte Jahre bevor. Sie hat es nicht nur mit einer starken parteiinternen Opposition zu tun, sondern muss auch im Inneren ihres eigenen Bündnis mit schwierigen PartnerInnen zusammenarbeiten. Darunter Benoît Hamon, Kandidat des linken Parteiflügel im ersten Wahlgang, der seine 20 Prozent WählerInnen zur Unterstützung von Aubry im zweiten Durchgang aufgefordert hat. Hamon kritisiert den "Sozialliberalismus". Mit diesem Argument haben er und seine FreundInnen auch die Politik der rot-rosa-grünen Regierung kritisiert, der Aubry zwischen 1997 und 2002 angehört hat. Damals war sie Arbeitsministerin und setzte die Arbeitszeitverkürzung auf die 35-Stunden-Woche durch. Eine als "groß" gefeierte Reform, die Staatspräsident Nicolas Sarkozy inzwischen fast komplett ausgehöhlt hat. Als Parteichefin will Aubry eine klassisch sozialdemokratische Politik versuchen. Außerhalb des eigenen Lagers sieht sie ihre Stützen bei den traditionellen Bündnispartnern der PS. Tatsächlich gilt Aubry bei radikalen französischen Linken - und bei KommunistInnen - als akzeptabler als Royal. Doch das Problem ist, dass die KPF immer deutlicher gegen null tendiert.

Royal hat in ihrem Wahlkampf einen Weg beschritten, der wie eine Kopie des Karriereplans ihres einstigen politischen Mentors François Mitterrand aussieht: den der einsamen Kämpferin, die ihre Kräfte außerhalb des Parteiapparates um sich sammelt. So verfuhr Royal schon bei ihrem Präsidentschaftswahlkampf, als sie das Netzwerk der "Ségosphäre" gründete, das sich nur teilweise in die PS integriert hat. Und so verfuhr sie jetzt auch bei ihrer Bewerbung um die Parteispitze. In beiden Fällen stellten sich die meisten Mitglieder des Apparates der PS - die "Elefanten" - gegen Royal. Am vielleicht schärfsten ging Expremier und Exparteichef Lionel Jospin mit ihr zu Gericht. Er verglich die Unterstützer von Royal mit den "Néos" - einer Strömung aus der Vorkriegszeit, die nach der Kapitulation vor Nazideutschland zur Kollaboration überging.

Der Politologe Gérard Grunberg, der die PS schon lange beobachtet und jetzt eine Spaltung der Partei nicht mehr ausschließen mag, erklärt die aktuelle Krise mit "persönlichem Hass" - und mit "tiefer Uneinigkeit darüber, wie sich die Partei entwickeln soll: in Richtung klassische Sozialdemokratie oder Präsidentialisierung des Systems".

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