Debatte: Podium: Antisemitismus. Schülervertreter: Nein

Bei einer Veranstaltung zur Wiedereröffnung der Gedenkausstellung in der Humboldt-Universität wertet deren Präsident Markschies die Zerstörungen als "planmäßig". Die Polizei hat dafür allerdings keine Anhaltspunkte

Humboldt-Universität: Schüler machten Kravall, heute steht die Ausstellung wieder, Frieden herrscht aber nicht Bild: dpa

Als ARD-Mann Joachim Wagner das Thema zum dritten Mal auf Christian Wulff und seinen Vergleich von Managern und Juden lenkt, platzt der Dame endgültig der Kragen. "Das ist nicht das Thema", ruft sie wütend. "Herr Wagner, Sie sind eines Moderators nicht würdig." Diskutieren wollen die fast 200 ZuhörerInnen am Montagabend im Senatssaal der Humboldt-Universität vielmehr die Frage: War die Zerstörung der Ausstellung über jüdische Unternehmen während einer Schülerdemo ein antisemitischer Akt? "Ja", lautet die Antwort des Podiums. "Noch nicht bewiesen", protestieren Schüler und Demo-Veranstalter.

Zur Diskussion anlässlich der Wiedereröffnung der Ausstellung eingeladen hatte Uni-Präsident Christoph Markschies. Auf dem Podium sitzen die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters (CDU), Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und Levi Salomon von der Jüdischen Gemeinde Berlin. Nicht aufs Podium gebeten wurden Mitglieder des Veranstaltungsbündnisses "Bildungsblockaden einreißen", das die Demo am Mittwoch organisiert hatte.

Rund 1.000 SchülerInnen hatten auf einem Protestmarsch für bessere Bildung die HU besetzt und dabei neben Fenstern und Feuerlöschern auch Tafeln einer Ausstellung über jüdische Unternehmen in der NS-Zeit beschädigt. Die Polizei ermittelt, hat nach eigenen Aussagen allerdings keine Anhaltspunkte für eine gezielte Zerstörung der Gedenkausstellung. Damit widerspricht sie Uni-Präsident Markschies, der die Vorfälle als "planmäßige Aktion" und "antisemitischen Akt" verurteilt.

Seine Einschätzung stützt Markschies auf Zeugenaussagen, wonach während der Zerstörungen auch die Aussage "Scheiß Israel" gefallen sei. Rückendeckung erhält Markschies von Levi Salomon. "Die Exponate konnte man einfach nicht übersehen", sagt er. Die Begründungen der Veranstalter seien "billige Ausreden". Salomon spricht sich für ein Projekt zur Aufarbeitung der Vorfälle aus. "Denn entscheidend ist doch: Wie hat sich die Mehrheit verhalten?" Für sinnvoll hält ein solches Projekt auch Bundestagsvizepräsident Thierse, warnt allerdings vor einer kollektiven Schuldzuweisung.

Erschüttert über die Vorfälle zeigt sich Bundestagsabgeordnete Monika Grütters. "Mir bleibt unverständlich, warum es keine instinktive Hemmschwelle bei den Tätern gab, solche Exponate zu zerstören", sagt sie und vermutet hinter der Tat eine "ethisch problematische" Haltung. Die Entschuldigung der Veranstalter hält sie im Gegensatz zu Salomon und Markschies für glaubwürdig.

Zwei Tage nach der Besetzung der Uni hatte die SchülerInnen-Initiative am Freitag einen offenen Brief verfasst. Darin distanziert sie sich von der Zerstörung der Ausstellungstafeln. Hinter der Tat vermutet sie "die Folge einer über lange Zeit aufgestauten Wut bei SchülerInnen".

Nichts gewusst hätten die Verfasser zu diesem Zeitpunkt von "Scheiß Israel"-Äußerungen, erklärt Initiativen-Sprecher Niklas Wuchenauer (16) am Montagabend. Dennoch sei es ein Fehler, die Beschädigung der Ausstellung automatisch als antisemitischen Akt darzustellen, sagt Wuchenauer, der auch Mitglied im Landesschülerbeirat ist. Etliche SchülerInnen hätten sich deutlich von den Vorfällen in der Uni distanziert und versucht, Schäden zu vermeiden. In der Initiative müsse nun diskutiert werden, wie die unterschiedlichen Zeugenaussagen zu beurteilen sind.

Die Ausstellung selbst wird die Zerstörung künftig auf einer eigenen Tafel zum Thema machen. Bewusst wurden zwei Risse eines Fotos nicht repariert - und die Laufzeit der Ausstellung bis zum 12. Dezember verlängert.

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