Kommentar "Wirtschaftsweise": Neoliberales jetzt besser versteckt

DIe "Wirtschaftsweisen" mögen nicht mehr so marktradikal wirken wie früher - aber ihre neoliberalen Lieblingsprojekte in der Steuerpolitik haben sie deswegen nicht aufgegeben.

Die deutsche Wirtschaft legt eine Vollbremsung hin. In nur wenigen Monaten stürzte sie vom Boom in die Rezession, wie nun auch das Gutachten der "Fünf Weisen" bestätigt. Daher fordern die Volkswirte, was niemand von diesem neoliberalen Gremium je erwartet hätte: Sie verlangen ein Konjunkturprogramm - und zwar in Höhe von bis zu 25 Milliarden Euro jährlich.

Diese Summe klingt gewaltig und ist doch wenig, wenn man sie mit internationalen Vorhaben vergleicht. China will jährlich 230 Milliarden Euro in ein Konjunkturprogramm investieren, für die USA fordert Nobelpreisträger Paul Krugman ein Paket von 600 Milliarden Dollar. Aber immerhin wären 25 Milliarden Euro mehr als die knapp 7 Milliarden, die die deutsche Regierung einplant.

Das deutsche Konjunkturpaket ist aber nicht nur zu klein - es ist bisher auch falsch fokussiert. Auch die Fünf Weisen kritisieren, dass von den Regierungsplänen vor allem die deutschen Autobauer profitieren sollen. Dies sei "industriepolitisch motivierter Aktionismus". In der Tat ist nicht einzusehen, warum ausgerechnet die Kfz-Steuer für Neuwagen ausgesetzt werden muss. Schließlich rechnet Daimler in diesem Jahr immer noch mit 6 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern. Da geht es anderen Branchen deutlich schlechter, zum Beispiel dem Einzelhandel.

Die Fünf Weisen wollen daher vor allem die staatliche Nachfrage ankurbeln - durch höhere Ausgaben für die Bildung und mehr Investitionen in die Infrastruktur. So weit, so sinnvoll. Aber dann wird es auch im Jahresgutachten recht bizarr. So wird es dort für dringend angesehen, erneut die Einkommensteuer so zu reformieren, dass vor allem die oberen Mittelschichten und Eliten profitieren. In der Krise neigen diese aber zum Sparen, nicht zum Ausgeben. Der Luxemburger Premier und Euro-Finanzkoordinator Juncker fordert daher längst, vor allem einkommensschwache Familien zu fördern. Doch dieser Vorschlag wurde von den Fünf Weisen nicht aufgenommen. Sie mögen nicht mehr so marktradikal wirken wie früher - aber ihre neoliberalen Lieblingsprojekte in der Steuerpolitik haben sie deswegen nicht aufgegeben.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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