Bioladenschließung: Von der Biowelle überrollt

34 Jahre verkauft der Bioladen Sesammühle in Charlottenburg Naturkost. Jetzt muss der Traditionsladen schließen. Ein Biosupermarkt hat die Sesammühle zum Stillstand gebracht

Am Ende ist der kleine Laden noch einmal voll. Während im hinteren Teil der Sesammühle schon leere Regale gähnen, sorgt der Ausverkauf ein letztes Mal für Schlangestehen. Biowein wandert über die Theke, Beileidsbekundungen werden ausgesprochen, und in den Räumen des ältesten Bioladens der Stadt herrscht Abschiedsstimmung. "Es ging nicht mehr", sagt Hans Müller-Klug. Er meint die letzten Jahre, in denen die Sesammühle nur noch Miese machte.

Seit ein Biosupermarkt nur 400 Meter entfernt Naturkost deutlich preisgünstiger anbietet, ließen die Kunden nur noch wenige Euros in der Knesebeckstraße. Am Dienstag wurde das letzte Biobrot über die Charlottenburger Holztheke gereicht. Für die Sesammühle ist die Biowelle zum Verhängnis geworden.

Ladenbesitzer Hans Müller-Klug wirkt seltsam gelöst - obwohl er sein gemütliches Geschäft mit der Holzdiele, der Stuckdecke und der Atmosphäre zwischen Küchentisch und Kaufladen schließen muss. "Am Ende hat es keinen Spaß mehr gemacht", sagt er mit einem traurigen Lächeln. Seit der einbrechende Umsatz ihn zwang, seine Mitarbeiter zu entlassen, stand Müller-Klug in seinem Laden oft allein. Jahr für Jahr ließ sich weniger Geld mit der Sesammühle verdienen. Am Ende war es für den Händler ein Draufleg-Geschäft. "Bio gibt es jetzt überall", sagt der einstige Pionier der Berliner Naturkostbewegung.

Neben dem Eingang zur Sesammühle hängt ein weißer Zettel. Ein Abschiedsbrief. "Nach nunmehr 34 Jahren möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie der Sesammühle so lange die Treue gehalten haben!" steht dort. Doch auch Müller-Klugs Kunden haben zu verantworten, dass es die Sesammühle nicht mehr gibt.

Weil der Biosupermarkt "Joachimsthaler" auch normale Produkte anbietet, sparte sich der Großteil der Kunden die wenigen Meter zum kleinen Bioladen von Hans Müller-Klug. Und wenn der Ladenbesitzer in der Knesebeckstraße um 18.30 Uhr den Schlüssel umdrehte, hatten Biobegeisterte noch über eine Stunde Zeit, sich beim Biodiscounter mit Lebensmitteln einzudecken. Der Preiskampf tat sein Übriges.

"Am Ende war es schon egal, ob ich Milch vom Großhändler oder von der Konkurrenz bezog", erzählt Müller-Klug. Unter 650 Euro Warenwert wurde er längst nicht mehr vom Zulieferer angefahren. 300.000 Euro Jahresbudget musste der Händler vertraglich abnehmen. Eine Summe, die mit der Sesammühle nicht zu verdienen war.

Als vor drei Jahren der Biosupermarkt in der Grolmanstraße eröffnete, stattete der Ladenbesitzer der Geschäftsführerin einen Besuch ab. "20 Prozent Umsatz werdet ihr mich wohl kosten", habe er damals gesagt. "Wenn selbst Aldi und Lidl Bio verkaufen, was soll ich da noch machen?" Der Händler zuckt mit den Schultern. Aus dem Nebenraum will seine Frau Eli wissen, was denn der Biowein koste. Heute, wo er zehn Prozent billiger ist, findet er reißenden Absatz.

"Traurig", sagt ein Kunde, der seit 20 Jahren der Sesammühle die Treue hält. Vor allem Brot habe er immer vom kleinen Bioladen der Familie Müller-Klug bezogen, erzählt er, während ein anderer Kunde sich schon für die leeren Holzkisten neben der Kasse interessiert. Für den Kamin, zum Verbrennen.

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