Ökonom Bhagwati über Finanzmarktkrise: "Es gibt auch falsche Regulierung"

Mächtige Banken finanzierten Politikern den Wahlkampf, die sie dann kontrollieren sollten, kritisiert Ökonom Jagdish Bhagwati. Und fordert ein wirklich unabhängiges Aufsichtssystem.

Ob die 700 Millarden reichen, um die Börsen zu stabilisieren, fragt sich Bhagwati. Bild: dpa

George W. Bush hat in dramatischen Worten von einem drohenden "Kollaps" der US-Wirtschaft gesprochen. Wie ernst ist die Situation?

Jagdish Bhagwati: Wir blicken in ein Fass ohne Boden und wissen nicht, wie weit es nach unten geht. Das Absurde ist: Es begann mit dem Immobiliensystem. Das hat nur wenig mit dem zu tun, was man üblicherweise das "internationale Finanzkapital" nennt. Die Wurzel liegt bei den amerikanischen Hypotheken-Banken Freddie Mac und Freddie Mae. Die sind ein Produkt der uramerikanischen Philosophie, dass jeder ein Haus für sich besitzen soll. Diese Banken sind sehr staatsnah. Sehr viele Menschen haben sich Häuser gekauft, die sie sich nicht leisten können. Sie haben Hypotheken auf Häusern, die falsch bewertet sind, und riskieren Raten, die sie sich nicht leisten können. Und der Staat hat das subventioniert, so dass wir kaum von deregulierten Finanzmärkten sprechen können.

Eine amerikanische Marotte hat also die ganze Welt in eine Krise gestürzt?

Diese Banken haben neue Finanzierungsinstrumente erfunden, damit sich noch mehr Menschen Geld leihen. Die Banker glaubten, mehr Business bedeute mehr Profit. Und die Risiken konnten sie steigern, weil sie sich auf Staatsgarantien verließen. Die Banken haben sich die Risiken wiederum versichern lassen und die Versicherungen haben mit diesen Titeln gehandelt. Erst da kommt das internationale Finanzsystem ins Spiel: Man hat diese Titel bis nach Russland und Deutschland verkauft. Das Kreditvolumen blähte sich auf, zugleich war es immer weniger abgesichert.

Und was kommt jetzt?

Man versucht jetzt verzweifelt die Banken auszukaufen. Letztendlich weiß aber niemand, wieviel Geld man dafür braucht. Ob 700 Milliarden Dollar reichen? Man weiß es nicht. Das System ist in enorm untransparenter Weise gewachsen.

Also liegt es doch an dem deregulierten Finanzsystem?

Eher an der falschen Regulierung. Diese Banken waren mächtig. Sie hatten starke Lobbys. Sie finanzierten die Politiker im Wahlkampf. Und diese Politiker waren dann dafür verantwortlich, sie zu "kontrollieren". Das gesamte Anreizsystem ist falsch. Wenn ein Kongressabgeordneter viele Kannibalen unter seinen Wählern oder Financiers hat, dann wird er dafür sorgen, dass es jeden Tag einen Missionar zum Frühstück gibt. Wie will man in einem solchen System eine vernünftige Bankenaufsicht etablieren?

Kritiker sagen, das sei erneut ein Exempel dafür, welchen Schaden unregulierte Finanzmärkte anrichten können. Das ist ihrer Meinung nach nicht ganz richtig?

Man muss die Frage stellen, was Regulierung überhaupt leisten kann. Es gibt auch falsche Regulierung. Finanzinstitutionen entwickeln immer neue, innovative Finanzierungsinstrumente. Niemand weiß genau, was diese Instrumente anrichten können. Wir brauchen ein wirklich unabhängiges Aufsichtssystem, das immerzu herausarbeiten muss, was die möglichen Schattenseiten und Risiken einer Innovation sind. Man sollte dazu übergehen, immer das Schlimmste anzunehmen.

Sie sind einer der eloquentesten Anhänger des freien Handels und der Globalisierung, aber auch ein Kritiker freier Kapitalflüsse. Wie geht das zusammen?

Offene Gütermärkte, offene Märkte für Dienstleistungen haben sehr positive Auswirkungen. Für offene Kapitalmärkte gilt das nicht. Zunächst kann ein Unfall im Finanzsystem zu einem Flächenbrand führen, ein Güterproduzent geht schlimmstenfalls bankrott. Nehmen wir nur den gegenwärtigen Fall: Die Banken glaubten, mit dem weltweiten Handel der Kreditsicherungen werden Risiken verteilt. In Wirklichkeit haben sich die Risiken potenziert. Da im Finanzsystem die potentiellen Gewinne unglaublich hoch sind, ist natürlich auch die Versuchung enorm, extreme Risiken einzugehen.

Sind Sie also nun ein linker Kritiker des Finanzkapitals oder ein wirtschaftsliberaler Freihandelsfan?

Wer für freien Handel ist, der gilt heute schnell als rechts von der Mitte. Aber das ist Unsinn. Sicher bin ich links von der Mitte.

Viele Leute würden sagen, die Ungleichheit steigt, die Löhne geraten unter Druck. Wie können Sie sagen, dass die Globalisierung ein humanes Gesicht hat?

Volkswirtschaften, die sich in die Weltwirtschaft integrieren, stehen viel besser da als solche, die das nicht tun. Und wenn wir ökonomische Probleme haben, müssen wir fragen: Wären die geringer, wenn wir uns abschotten würden? Natürlich wären sie noch größer. Wenn wir uns die Dinge im Detail ansehen, wer den wir feststellen: Wenn sich Gesellschaften in die Weltwirtschaft integrieren, dann bessert sich die Lage der Frauen, auch Kinderarbeit nimmt ab, die Lebensbedingungen der Schwächsten verbessern sich. Ehemals arme Länder haben sich wirtschaftlich entwickelt, in China, in Indien gibt es Wohlstand, einen breiten Mittelstand.

Die einstige Dritte Welt gewinnt, die bisher reiche Welt verliert also?

Stimmt nicht. Natürlich gibt es heute einen wachsenden Druck vor allem auf die schlecht qualifizierten Arbeitnehmer der reichen Länder. Aber alle Daten zeigen, dass das sehr wenig mit der Globalisierung zu tun hat, sondern viel mit dem technologischen Wandel. Die Fließbänder, auf denen unqualifizierte Arbeiter einfache Handgriffe machen, die finden sie heute in den USA kaum mehr. Diese Arbeit ist aber auch nicht nach China "ausgewandert", sie wurde durch Automatisierung ersetzt. Ohne die wechselseitigen Vorteile und das Wachstum aus der globalen Verflechtung wäre der Druck auf die niedrig Qualifizierten noch stärker.

Warum dann die grassierende Zukunftsangst?

Die Konkurrenz ist einfach härter. So gut kann eine Firma heute gar nicht sein, dass sie nicht aus dem Augenwinkel die Konkurrenz sieht. Und es gibt keinen Bereich, der davon ausgenommen ist. Diese Konkurrenz führt aber auch zu Wohlstand. Sie beschert und den technologischen Fortschritt, sie schafft auch neue Jobs. Sicher, sie hat auch negative Auswirkungen. Jobs, auch die guten, sind unsicher. Firmen investieren nicht mehr in die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter, wenn sich diese Kompetenzen stetig entwerten.

Damit muss man sich abfinden?

Nein, man muss intelligente Maßnahmen setzen, die die Menschen befähigen, unter diesen Bedingungen zu bestehen. Ein Wohlfahrtsstaat muss sicherstellen, dass die Menschen im Fall der Fälle nicht ins Nichts rutschen. Was aber nichts hilft ist "Anti-Globalisierung". Wir brauchen offene Ökonomien, um all die Vorteile zu haben, die Offenheit nach sich zieht.

INTERVIEW: ROBERT MISIK

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.