Politikanalyst über Russland: "Nur die eigene Kraft zählt"

Das neue Russland verzichtet auf Verbündete, sagt Politikanalyst Fjodor Lukjanow. Doch durch Konfrontation mit dem Westen könne es nur verlieren.

Russische Truppen - gestern Georgien, heute Ukraine? Lukjanow hält die Lage für "brenzlig". Bild: dpa

taz: Herr Lukjanow, die Welt fürchtet einen neuen Kalten Krieg. Sie behaupten, von einem Kalten Krieg könne man nur träumen. Die derzeitige Konfrontation zwischen dem Westen und Russland ist also noch bedrohlicher?

Fjodor Lukjanow: Die Systemkonkurrenz zwischen der Sowjetunion und den USA im 20. Jahrhundert gab eine klare Struktur vor. Alle Konflikte bewegten sich innerhalb derselben Logik. Heute sieht die Welt anders aus. Das System ist vieldimensional und unübersichtlicher geworden.

Russland wollte die sogenannte Schanghai-Gruppe zu einer Art Anti-Nato ausbauen. Die Organisation hat aber Moskaus Vorgehen in Georgien nicht unterstützt. China schwieg demonstrativ. Die multipolare Weltordnung, ein Lieblingsthema der russischen Außenpolitik, ist Wirklichkeit geworden - aber Russland steht jetzt ganz alleine da …

Die Länder der Dritten Welt beziehen in dem Konflikt keine Stellung. Sie achten nur darauf, die eigene Position zu stärken. China ist sehr pragmatisch und schließt auch eine Doppelherrschaft mit den USA in Zukunft nicht kategorisch aus. Für Russland ist das keine beruhigende Perspektive.

Die Anerkennung von Abchasien und Südossetien zeigt, wie marode die Architektur der internationalen Beziehungen ist. Was trieb Russland zu diesem Schritt?

Die Mehrheit der russischen Gesellschaft und die politische Führung waren schockiert über das Ausmaß der Unterstützung für den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili im Westen. Bei uns versteht niemand, wie nachsichtig der Westen mit jemandem umgeht, der sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat und auf allem herumtrampelt, was der "zivilisierten Welt" sonst so wichtig ist.

Nun ist aber der Vorwurf des Genozids, den Moskau den Georgiern unterstellt, weder untersucht noch bestätigt worden. Vielmehr hat Russland die anfänglich hohe Zahl der Opfer in Südossetien kleinlaut korrigiert.

Das ändert nichts an dem Gefühl, ein Dialog mit dem Westen sei zurzeit sinnlos. Das hat die schnelle Wende zum radikalen Handeln bestimmt und die hastige Anerkennung der Republiken forciert.

Ging es nicht darum, die militärischen Gewinne für immer zu sichern?

Es wurde schnell klar, dass wir politisch nicht absichern können, was militärisch erreicht wurde. Russlands Vorgehen wurde nicht nur im Westen nicht verstanden. Auch der UN-Sicherheitsrat sperrte sich gegen eine für Russland annehmbare Resolution. Eine Resolution, die die territoriale Integrität Georgiens unterstreicht, hätte ihrerseits den Druck auf die russischen Militärs erhöht und den Konflikt wie im Kosovo internationalisiert. Der militärische Erfolg wäre umsonst gewesen und Russland verdrängt worden. Denn der Westen hätte die Rolle der russischen "Friedenstruppen" infrage gestellt. Nun hat Russland die Kontrolle in der Region übernommen.

Eine Welle des Hurrapatriotismus hat Russland erfasst. Wäre es innenpolitisch für den Kreml riskant gewesen, sich auf Konzessionen einzulassen?

Der russischen Öffentlichkeit wären Zugeständnisse auch trotz des kontrollierten Fernsehens nur schwer zu vermitteln gewesen. Anscheinend erfolgte die Anerkennung bewusst, um alle Rückzugsmöglichkeiten abzuschneiden und die Lage unumkehrbar zu machen.

Sollte der Krieg auch innenpolitisch die Machtfrage klären helfen?

Das sehe ich nicht so. Die radikale Lösung ist keineswegs ein Zeichen von Selbstsicherheit. Sie signalisiert jedoch die Bereitschaft, ein sehr großes Risiko einzugehen.

Warum hat Russland ganz und gar auf diplomatische Kanäle verzichtet?

Der Westen gesteht Russland kein Recht auf eine eigene Einflusssphäre zu. Russlands Kurskorrektur ist einschneidend. Von nun an bemüht es sich nicht mehr um Legitimation von außen für sein Handeln. Nur die eigene Kraft zählt noch, denn es gibt keine Verbündeten. Das Augenmerk richtet sich darauf: Haben die Nachbarn die Lektion verstanden?

Wird die Ukraine das nächste Opfer sein?

Ich glaube nicht, dass die russische Führung das Imperium wiederherstellen will. Aber die Lage in der Ukraine ist ziemlich brenzlig. Moskau hat immer klargemacht, dass es eine rote Linie gibt, die der Westen mit seinen politisch-militärischen Organisationen nicht überschreiten sollte. Georgien und die Ukraine sind diese Linie. Die USA werden jetzt mit Nachdruck die Aufnahme der Ukraine in die Nato betreiben. Russland wird scharf reagieren. Das kann sich schnell zu einer Katastrophe hochschaukeln.

Wie geht es mit dem isolierten Russland weiter?

Russland hält einer Konfrontation mit dem Westen nicht stand. Es hat ein extrem riskantes Spiel mit hohem Einsatz begonnen. Beides - Sieg oder Niederlage - wird schwindelerregende Folgen haben. Grundsätzlich steht allerdings die Handlungsfähigkeit aller Institutionen auf dem Spiel, die mit europäischer Sicherheit und Politik zu tun haben: der OSZE, der Nato, der EU, des Europarats. Deren Degeneration hat vor langer Zeit begonnen.

INTERVIEW KLAUS-HELGE DONATH

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