Zypries über die geplante Erbrechtsreform: "Die wird eher Frauen nutzen"

Justizministerin Brigitte Zypries will, dass die Pflege von Angehörigen nach deren Tod honoriert wird. Vor allem Hausfrauen würden dadurch besser gestellt, weil diese die Pflege meist übernehmen.

Setzt sich für pflegende Frauen ein: Brigitte Zypries. Bild: dpa

taz: Frau Zypries, haben Sie ein Herz für Hausfrauen?

Brigitte Zypries: Hm. Warum?

Weil bei Ihrer geplanten Erbrechtsreform vor allem die Pflegeleistung von Hausfrauen belohnt werden soll.

Bei der geplanten Reform des Erbrechts werden vor allem die Regeln für den Pflichtteil verändert, den nahe Angehörige stets bekommen müssen.

Die bessere Honorierung von Pflegeleistungen im Erbrecht ist Teil eines größeren Gesetzespakets. Darin will Justizministerin Brigitte Zypries zahlreiche kleinere Korrekturen im Erbrecht vornehmen. Das Gesetz soll im Herbst vom Bundestag beschlossen werden und Anfang nächsten Jahres in Kraft treten.

Die meisten Änderungen betreffen den sogenannten Pflichtteil, der nahen Angehörigen auch dann zusteht, wenn sie im Testament "enterbt", also nicht berücksichtigt wurden. Der Pflichtteil beträgt wertmäßig die Hälfte des gesetzlichen Erbes, wird aber in bar ausbezahlt.

Die Auszahlung des Pflichtteils kann den Erben stark belasten, zum Beispiel wenn er ein Haus oder ein Unternehmen geerbt hat. Um zu verhindern, dass das Erbe sofort verkauft werden muss, sollen künftig die Pflichtteilsforderungen häufiger gestundet werden können.

In wenigen Fällen kann der Erblasser im Testament sogar den Pflichtteil entziehen, zum Beispiel wenn ihn der Angehörige misshandelt oder mit dem Tod bedroht hat. Ein "ehrloser oder unsittlicher Lebenswandel" des Angehörigen soll künftig aber nicht mehr genügen; diese Regelung sei zu unbestimmt gewesen, heißt es im Justizministerium. Stattdessen soll der Pflichtteilsentzug künftig möglich sein, wenn der Angehörige "zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde und die Teilhabe am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist".

Um zu verhindern, dass jemand den Pflichtteil seiner ungeliebten Angehörigen stark reduziert, indem er sein Hab und Gut schon zu Lebzeiten verschenkt, gibt es schon lange einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dabei werden für die Berechnung des Pflichtteils auch Schenkungen während der letzen zehn Lebensjahre des Verstorbenen berücksichtigt. Künftig sollen solche Schenkungen aber mit zunehmendem Zeitablauf innerhalb der Zehnjahresfrist eine immer geringere Rolle spielen. So würde sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch binnen fünf Jahren halbieren.

Das Pflichtteilsrechts ist umstritten, weil es die Freiheit, seinen Nachlass nach eigenen Wünschen zu verteilen, stark beschränkt. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 2005 dem Gesetzgeber eine völlige Abschaffung des Pflichtteils verboten. Der Pflichtteil sei Ausdruck der vom Grundgesetz geschützten "Familiensolidarität", so die Richter.

Ich will hier kein bestimmtes Ehemodell unterstützen. Ich will nur dafür sorgen, dass die oft aufopferungsvolle Pflege, die in den Familien geleistet wird, auch finanziell anerkannt wird.

Was haben Sie genau vor?

Künftig soll im Todesfall - wenn das Erbe verteilt wird - die Pflegeleistung von Angehörigen honoriert werden.

Wie soll das in der Praxis aussehen?

Ich will es an einem Beispiel erläutern: Eine alte Frau stirbt, nachdem sie lange pflegebedürftig war. Als gesetzliche Erben hat sie eine Tochter, die die Mutter drei Jahre lang zu Hause gepflegt hat, und einen Sohn, der sich nicht an der Pflege beteiligte. Bisher würde das Erbe je zur Hälfte auf Tochter und Sohn aufgeteilt, unabhängig von ihrem Engagement. Künftig aber soll aus dem Erbe zunächst die Pflegeleistung der Tochter bezahlt werden, erst dann würde das Verbliebene halbiert.

In der Regel würden also Frauen mehr vom Erbe erhalten und Männer weniger?

Unter dem Strich wird die Reform eher Frauen nutzen, denn häufig sind sie es, die Angehörige im Alter pflegen. Es geht mir aber nicht um eine Umverteilung zwischen den Geschlechtern, sondern um die Honorierung persönlicher Leistungen. Männer dürfen sich schließlich in der häuslichen Pflege von Angehörigen genauso engagieren wie Frauen.

War dieser Vorschlag Ihre Idee?

Das ist eine Idee aus meinem Ministerium, die ich sehr gerne aufgegriffen habe. Sie knüpft allerdings an eine Regelung an, die schon seit 1970 gilt.

Was also ist neu?

Bisher konnten nur pflegende Kinder und Enkelkinder einen Ausgleich verlangen, künftig ist dies für alle gesetzlichen Erben möglich - also auch für Ehegatten und Geschwister. Noch wichtiger ist aber ein zweiter Punkt: Bisher wurde die Pflegeleistung im Erbfall nur honoriert, wenn jemand für die Pflegezeit seinen Beruf aufgegeben und so auf Einkommen verzichtet hat. Diese Einschränkung will ich streichen.

Damit auch die Pflegeleistung von Hausfrauen honoriert wird?

Ja. Aber auch, wenn jemand im Rentenalter einen Angehörigen pflegt, ist nicht einzusehen, warum seine Leistung nichts wert sein soll.

Um welche Summen geht es?

Das hängt natürlich von Dauer und Intensität der Pflege ab. Nehmen wir im Beispiel von vorhin an, dass die alte Dame schwerstpflegebedürftig war, dann müsste die Pflege mit 1.470 Euro pro Monat vergolten werden. Für drei Jahre käme dann ein Betrag von rund 50.000 Euro zusammen. Bei leichterem Pflegebedarf wären es immer noch 15.000 oder 35.000 Euro.

Woraus ergeben sich diese Beträge?

Der Ausgleichsanspruch bemisst sich nach den Sätzen der Pflegeversicherung für ambulante Fremdpflege. Je höher die Pflegestufe, desto höher der monatliche Satz.

Wie können die Pflegepersonen belegen, dass sie tatsächlich so lange und so intensiv gepflegt haben? In der Familie wird ja selten Buch geführt...

In der Regel ist schon klar, wer die ganze Arbeit gemacht hat. Und im Streitfall müssen eben Zeugen gehört werden, zum Beispiel Nachbarn oder Ärzte.

Gilt der Anspruch auch innerhalb von homosexuellen Partnerschaften?

Ja, auch wer seinen eingetragenen Partner oder seine Partnerin pflegt, kann die Pflegeleistung ersetzt bekommen, bevor das Erbe verteilt wird.

Was ist mit sonstigen Freunden und Nachbarn?

Hier würde der Vorschlag nicht greifen. Auch nicht bei Schwiegertöchtern und -söhnen. Denn sie sind keine gesetzlichen Erben.

Schwiegertöchter erbringen aber oft sehr relevante Pflegeleistungen für die Eltern ihres Mannes...

Das stimmt. Das ist auch schon angemerkt worden. Ob wir den Kreis der Berechtigten erweitern, werden wir deshalb sorgfältig prüfen.

Welche Einschränkungen sind noch zu beachten?

Immer wenn der Erblasser ein Testament erstellt hat, dann hat dieses Vorrang, das heißt es gibt keinen Anspruch auf Ausgleich der Pflegeleistungen.

Warum?

Wenn sich ein Erblasser Gedanken über die Verteilung des Erbes gemacht hat, ohne am Ende die Pflegepersonen besonders zu berücksichtigen, dann wollte er wohl, dass diese Leistung nicht ausdrücklich honoriert wird. Diesen letzten Willen müssen wir aus verfassungsrechtlichen Gründen akzeptieren. Umgekehrt kann in einem Testament aber auch gerade sichergestellt werden, dass pflegende Freunde und Nachbarn nicht leer ausgehen.

Wie häufig liegt ein Testament vor?

Nur etwa jeder dritte Deutsche hinterlässt ein Testament. In der Mehrzahl der Erbfälle gilt also die gesetzliche Erbfolge - und künftig auch der gesetzliche Anspruch auf Ausgleich von Pflegeleistungen.

Voraussetzung für diesen Anspruch ist aber immer, dass es überhaupt etwas zu erben gibt. Wer seine armen mittellosen Eltern pflegt, geht leer aus. Ist das gerecht?

Eine durchschnittliche Hinterlassenschaft liegt inzwischen bei knapp 300 000 Euro. Dass gar nichts vererbt wird, ist relativ selten. Und auch dort gibt es ja zumindest die Leistungen der Pflegeversicherung.

A propos Pflegeversicherung: Was gilt, wenn die Angehörigen für ihre häusliche Pflege schon Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten haben?

Dann wird das im Erbrecht angerechnet. Allerdings sind die Leistungen aus der Pflegeversicherung an Angehörige relativ gering. In Pflegestufe 1 erhalten Angehörige nur ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 215 Euro, während für externe Pflegekräfte 420 Euro bezahlt wird. In Stufe 3 liegt das Pflegegeld bei 665 Euro monatlich und der externe Satz bei 1470 Euro. Der Anspruch an das Erbe soll sich nach meinem Vorschlag am höheren Satz orientieren.

Wäre es nicht sinnvoller und gerechter, die Leistungen der Pflegeversicherung für die häusliche Pflege von Angehörigen zu erhöhen?

Warum?

Da hätten alle pflegenden Angehörigen und Freunde etwas davon - unabhängig von der Höhe des Erbes. Außerdem würden die Leistungen sofort bezahlt und nicht erst nach Jahren beim Tod des Gepflegten. Auch das könnte ja über eine Erhöhung der Erbschaftssteuer finanziert werden.

Das scheint mir sehr bürokratisch. Außerdem sehen wir im Moment ja, wie schwer es ist, Erbschaftssteuer und Pflegeversicherung zu reformieren.

Steht denn die Koalition hinter Ihrem Reformvorschlag?

Ja. Die Bundesregierung, alle Parteien im Bundestag und auch der Bundesrat tragen das Konzept im Grundsatz mit.

Es ist ja eine Reform mit Gewinnern und Verlierern. Gibt es da nicht gesellschaftlichen Gegenwind, vor allem von den Männern, die weniger erben werden?

Nein. Das ist auch nicht zu erwarten. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Die Pflege alter Menschen geht uns alle an - Frauen wie Männer.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.