Schwarz-Schilling über Balkan und Kaukasus: "Der Westen hat zu viel versäumt"

Die EU hätte in den 90ern die Kooperationsbereitschaft Russlands unter Jelzin nützen müssen, sagt Christian Schwarz-Schilling. Der Balkan profitiere aber von den Ereignissen in Georgien.

Hält "neue tragische Konflikte" für vorgezeichnet: Balkan-Experte Schwarz-Schilling. Bild: dpa

taz: Herr Schwarz-Schilling, welche Rückwirkungen haben die Ereignisse in Georgien auf den Balkan?

Christian Schwarz-Schilling: Zunächst einmal eine positive. Die Welt ist jetzt aufgerüttelt, vor allem in Ostmitteleuropa wurden nach dem Einmarsch der russischen Truppen in Georgien Erinnerungen wach. Und weil Russland im letzten Jahr auch bei der Frage des Kosovo Probleme bereitete, schaut die Öffentlichkeit jetzt besser hin.

Es gab Hinweise, Russland wollte in Serbien Truppen wegen Kosovo einsetzen, konnte aber nicht, weil Bulgarien und Rumänien bereits in EU und Nato waren. Hätte die Nato nicht auch Georgien mehr entgegenkommen sollen?

Die Frage, ob der Westen sich strategisch richtig verhält, stellt sich natürlich. Aber man kann nicht jedes Land, das Sicherheit braucht, in die Nato aufnehmen. Man hätte sofort nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Konstruktion finden müssen, die das Sicherheitsbedürfnis der Nachbarländer Russlands befriedigt hätte. Die Frage ist, ob ein Land nur schutzbedürftig ist oder schon reif für die Mitgliedschaft. Das sind zwei Dinge, die man leider vermixt hat. Der Westen hat es also versäumt, diesen Ländern zu helfen, ohne gleich die Mitgliedschaft anzubieten.

Im Kosovo pocht Russland auf die Souveränität Serbiens und wendet sich gegen die Abtrennung Kosovos, in Georgien dagegen unterstützt es die abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien. Der Westen argumentiert nicht besser, sondern genau umgekehrt.

Historische Vergleiche hinken immer, wenn man nicht genau hinsieht. Bei allen historischen Unterschieden zwischen Georgien und dem Kosovo ist es aber richtig festzustellen, dass der Westen es in den 90er-Jahren versäumt hat, auf die Einhaltung der Minderheitenrechte zu drängen und internationale Kontrollmechanismen zu installieren. Eine solche Politik hätte man in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre noch während der Jelzin-Zeit auch mit Russland hinbekommen, denn Moskau war damals sehr kooperationswillig. Man hätte sogar die UN reformieren können, auch das wurde versäumt.

Durch Georgien führt eine Ölpipeline, die für die Energieversorgung des Westens sehr wichtig ist. Die USA haben aber nur Militärberater nach Georgien geschickt, die Europäer glänzten völlig durch Abwesenheit.

Es ist die historische Tragödie Europas, dass Aufgaben auf uns zugekommen sind, zu deren Lösung wir noch nicht bereit sind - vor allem auch nicht in Deutschland. Vor mehr als 10 Jahren hätte der Westen beginnen müssen, die Demokratisierung Georgiens zu unterstützen. Mit zivilen, substanziellen Maßnahmen. Ich fürchte, jetzt nach dem Scheitern des EU-Vertrages von Lissabon in Irland, wird sich die Lage nicht bessern. Der Westbalkan liegt nicht einmal am Rand Europas wie Georgien, sondern mittendrin, und auch da begeht man wiederum große Fehler.

Was müsste die EU dort jetzt machen?

Als Erstes müsste sie Visafreiheit für die Staaten des Westbalkans einführen. Vor allem für die Jugendlichen ist dies wichtig, 80 Prozent wollen ihre Heimat verlassen, weil sie sich eingesperrt fühlen, während Eltern und Großeltern früher frei reisen konnten. Welch ein Widersinn. Zweitens muss die EU für diese Region einen neuen Weg für den Beitritt in die Europäische Union vorgeben, der sich von dem anderer Länder unterscheidet. Hier gab es schließlich einen Völkermord. Da kann man nicht einfach mit der Abarbeitung eines Paragrafenwerkes daherkommen und denken, das sei schon in Ordnung. Wo ist die Reeducation, die in Deutschland nach 1945 selbstverständlich angewandt wurde? Wir müssen doch verhindern, dass die Konflikte in Zukunft wieder ausbrechen, weil die Jugend nichts anderes lernt. Für viele Probleme des Balkans fühlt sich die EU nicht zuständig. Deshalb sind neue tragische Konflikte vorgezeichnet. INTERVIEW: ERICH RATHFELDER

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