Kinderschutz I: Geburtshelfer für Familien

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg will sozial auffällige Eltern künftig mit speziell geschulten "Familienhebammen" unterstützen. In anderen Bundesländern gibt es solche Modellprojekte längst.

Babys sind für viele ein Glück, für manche aber auch eine Überforderung. Bild: AP

Ein dreijähriger Junge steht am offenen Fenster im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Keine Aufsichtsperson weit und breit. Eine aufmerksame Nachbarin holt den Jungen aus der verdreckten Wohnung, wo der 25-jährige Vater schläft. Die Mutter (23) ist nicht zu Hause. Jetzt ermittelt die Polizei wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht.

Was dem Dreijährigen vor kurzem in Reinickendorf passiert ist, ist keine Seltenheit: Meldungen über Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern häufen sich. Im Jahr 2007 erhielt die Polizei Berlin 645 Anzeigen wegen Kindesmisshandlung, 751 Anzeigen wegen Verletzung der Fürsorgepflicht. Das sind 15 Prozent beziehungsweise 29 Prozent mehr als im Jahr zuvor. "Diese Zahlen liegen aber auch daran, dass die Öffentlichkeit für Kindesmisshandlung sensibilisiert ist", sagt Polizeisprecherin Kerstin Häßelbarth.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg will jetzt etwas Neues ausprobieren, um dem Problem zu begegnen: In einem Modellprojekt sollen ab Anfang 2009 sogenannte Familienhebammen in Haushalte mit Neugeborenen gehen. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Hebammen bleiben sie ein Jahr in den Familien und sind in Sozialpädagogik geschult. Das Projekt soll ein Teil des bereits bestehenden Netzwerk Kinderschutz werden.

Die "Familienhebammen für ein Jahr" sollen 30 Neugeborene und ihre Eltern betreuen - vor allem sogenannte Risikofamilien, erklärt Ingrid Papies-Winkler, die das Projekt im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg leitet. Meist seien das sehr junge Mütter, Drogenabhängige oder Opfer von Gewalttaten, die durch Beratungsgespräche oder auch aus früheren Kontakten mit dem Jugendamt bekannt sind.

Bisher zahlt die gesetzliche Krankenkasse den Eltern eine Betreuung durch eine Hebamme nur für acht Wochen. "Wir hoffen, mit den Familienhebammen den Eltern frühzeitig mehr Hilfe bei der Erziehung geben zu können", betont Papies-Winkler. Wie das konkret aussehen könnte weiß Brunhild Rataj. Sie ist seit 25 Jahren Hebamme und schon jetzt in vielen Problemfamilien tätig (siehe unten). "Familienhebammen können nicht nur beim Stillen helfen, sondern auch die Entwicklung des Kindes fördern", erklärt sie.

Die vorerst vier Familienhebammen in Friedrichshain-Kreuzberg sollen eine gesonderte Ausbildung bekommen, um den Familien auch in sozialen Schieflagen helfen zu können. "In der Anfangszeit betreuen die Familienhebammen die Familien intensiv und anschließend nach Absprache", sagt Ulrike von Haldenwang, Leiterin des Berliner Hebammenverbands e. V. Andere Bezirke wie Charlottenburg-Wilmersdorf haben bereits ebenfalls Interesse an dem Projekt signalisiert.

Die Idee der Familienhebammen ist nicht neu. In anderen Bundesländern läuft das Projekt bereits seit Jahren sehr erfolgreich, berichtet Edith Wolber vom Bund Deutscher Hebammen. Die Spezialhebammen seien sehr nahe dran am Neugeborenen und könnten Probleme schnell bemerken - für Wolber ist das der große Unterschied zu Sozialarbeitern. "Hebammen erkennen sofort eine gestörte Kontaktaufnahme der Eltern mit ihren Kindern." Berlin sei ihres Wissens das einzige Bundesland, in dem es noch keine Familienhebammen gibt, so Wolber.

Die Finanzierung des Modellprojekts vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ist allerdings noch nicht gesichert. "Wir überprüfen, ob wir die Kosten aus unserem Haushalt übernehmen können", sagt eine Sprecherin der Senatsgesundheitsverwaltung. Gleiches gilt für die Techniker Krankenkasse: Bei der liegt ein Förderungsantrag des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg auf dem Tisch.

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