Nutztiere in der Großstadt: Berlin ist ein Bauernhof

Immer wieder befreien Tierschützer Schweine und andere Nutztiere aus Berliner Wohnungen. Die Besitzer wissen oft nichts von artgerechter Haltung. Das Tierheim Berlin eröffnet an diesem Wochenende deshalb eine Notaufnahme.

Vielseitig einsetzbar so ein Schwein - am wohlsten fühlt es sich aber trotzdem in der Suhle Bild: AP

Eddy ist ungehalten. Wütend drückt er seinen Rüssel an das Gitter, stampft mit seinen Klauen auf den Betonboden, wo Stroh einen Stall andeuten soll. Was Eddy fehlt, ist Schlamm, in dem er sich suhlen kann, Dreck, in dem er wühlen kann. "All das wird die neue Notaufnahme bieten", verkündet Evamarie König aufmunternd in Richtung des Hängebauchschweins. Die Sprecherin des Berliner Tierheims steht vor dem Wasservogelhaus, wo Eddy vorübergehend untergebracht ist, seit sich niemand mehr um das Tier kümmern will. "Siedelt er endlich um", freut sich König, "wird er sicher wieder entspannter sein."

Berlin ist ein Bauerhof. Dieser Eindruck kann leicht entstehen, schenkt man den Erzählungen von Rica Lenz nur fünf Minuten Gehör. Die Tierschutzberaterin geht für das Tierheim im Ostberliner Stadtrandviertel Falkenberg auch Verstößen gegen die artgerechte Haltung von Nutztieren nach: Schweine werden in Wohnungen gehalten, Ziegen in Vorgärten. Werden die Tiere irgendwann zu groß oder verliert der Besitzer den tierischen Spaß an der Haltung, schreitet Lenz ein.

So auch im Falle eines Schweins im Märkischen Viertel. Als Muttertagsgeschenk kam das vermeintliche Minischwein in eine fünfköpfige Familie. Als das Tier irgendwann 60 Kilo wog und das Wohnzimmer in ein Schlachtfeld verwandelt hatte, rief die hilflose Mutter schließlich im Berliner Tierheim an.

Was aber tun? Europas größtes Tierheim hatte bisher keine Möglichkeit, Nutztiere wie Schweine, Hühner, Schafe und Ziegen aufzunehmen, erzählt Tierheimsprecherin Evamarie König. Zwar nimmt der Verein tagtäglich eine große Anzahl von Haustieren in seine Obhut, angemessener Platz für Nutztiere bestand jedoch nicht. Wurde ein Tier wie Eddy aus einer nicht artgerechten Haltung befreit, begann für das Tierheim eine mühsame und zeitintensive Suche nach artgerechter Bleibe.

Dieser Notstand ist nun beseitigt. Insgesamt sieben Tierhäuser, ein Versorgungstrakt und eine Pferdekoppel stehen von diesem Wochenende an für die pro Jahr bis zu 50 abgegebenen Tiere bereit. 20.000 Quadratmeter Fläche wurden bebaut. Die Kosten beliefen sich auf 400.000 Euro. Ob die täglichen Unterhaltskosten von 12.000 Euro steigen werden, ist noch nicht bekannt. "Es wird von der Belegung abhängen, wie viel Geld die Notaufnahme verschlingt", sagt König.

Auch Klaus Lüdcke, Tierschutzbeauftrager der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, ist froh über die neue Anlage. Doch das Schließen dieser Lücke im Berliner Tierschutz ist für den Tierschutzbeauftragten noch nicht genug. "Was wir als Nächstes brauchen, ist eine Auffangstation für Wildtiere", sagt Lüdcke.

Denn mit Hängebauchschweinen geben sich Berlins Bürger längst nicht mehr zufrieden. Schlangen, Echsen, exotische Vögel, sogar Affen werden nach Aussage des Tierschutzbeauftragten illegal in Wohnungen gehalten. Geht es nach ihm, wird Hängebauchschwein Eddy bald sehr interessante Mitbewohner bekommen.

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