Kommentar Wirtschaftskrise und Regierung: Der Abschwung ist da

Die Rezession naht, auch wenn die Regierung das noch ignoriert. Im Wahlkampf 2009 werden dann die üblichen Patentrezepte präsentiert - etwa dass Arbeitnehmer den Gürtel enger schnallen müssen.

Die Wirtschaftskrise naht - und die Bundesregierung schweigt. Ein Abschwung? Doch nicht in Deutschland. Dieser Zweckoptimismus wird allerdings nicht mehr lange durchzuhalten sein. Das nächste Jahr wird für die große Koalition sehr unerfreulich: Ausgerechnet im Wahlkampf muss sie dann den Bürgern erklären, warum die Arbeitslosenzahlen wieder steigen.

Der herannahende Abschwung trifft auf eine Bundesregierung, die besonders ungeeignet sein dürfte, um Wirtschaftskrisen zu bewältigen. Schließlich hat die große Koalition bereits im Boom versagt, als das Regieren eigentlich noch bequem war: Von sinnvollen Reformen war nichts zu sehen; stattdessen haben sich SPD und Union damit erschöpft, Symbolauseinandersetzungen rund um den Mindestlohn zu führen.

Noch sonnt sich die Union in guten Umfragewerten, doch dürfte auch die Kanzlerin bald erleben, dass ihre Popularität nicht krisenfest ist. Sobald die Arbeitslosenzahlen steigen, werden Union und SPD eine unangenehme Entdeckung machen, die andere europäische Volksparteien schon hinter sich haben: Es ist keineswegs selbstverständlich, dass eine große Koalition mehr als 60 Prozent der Wähler hinter sich vereint. Der Abschwung wäre ein Wachstumsprogramm für die kleinen Oppositionsparteien.

Die jetzige Situation erinnert fatal an Rot-Grün: Auch damals reagierte Kanzler Schröder auf die ersten Anzeichen einer Flaute mit seiner Politik der "ruhigen Hand" - nur um anschließend umso hektischer die Agenda 2010 zu erfinden. Eine ähnliche Panik ist auch diesmal abzusehen: Sobald der Abschwung nicht mehr zu ignorieren ist, werden sich Union und SPD mit täglichen Vorschlägen überbieten, wie die Wirtschaft wieder anzukurbeln sei.

Die Gefahr ist groß, dass die unüberlegten Reformideen erneut vor allem den Kapitalbesitzern nutzen werden. Auf jeden Fall ist nicht zu übersehen, dass sich die Unternehmensverbände bereits positionieren, um aus einer Wirtschaftskrise wenigstens den maximalen politischen Gewinn zu ziehen. Den Arbeitnehmern hingegen wird man erläutern, dass nun wieder die Zeit gekommen sei, den Gürtel enger zu schnallen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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