Ostfriesisches Weideland dioxinbelastet: Giftfund an der Ems

Zeitweise überschwemmtes Weideland nahe dem ostfriesischen Leer ist mit krebserregenden Stoffen belastet. Der Giftfund war zufällig: Wegen BSE-Verdachts wurden auch Bodenproben untersucht.

Haben sie dioxinbelastetes Gras gefressen? Der Landkreis Leer will Schafe aus dem Gebiet aufkaufen und kontrollieren. Mäh. Bild: ap

JEMGUM/OLDENBURG dpa Die Überschwemmungsflächen der Ems nordwestlich der ostfriesischen Stadt Leer sind hochgradig mit giftiger Chemie belastet. Tests des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) wiesen Dioxin und dioxin-ähnliche Polychlorierte Biphenyle (PCB) nach, sagte die Laves-Sprecherin Hiltrud Schrandt am Montag. Diese Stoffe gelten als gesundheitsschädlich und krebserregend. Die Herkunft der Chemikalien und die Auswirkungen für Landwirtschaft und Bevölkerung sind noch unklar. Die Behörden wollen weitere Untersuchungen vornehmen.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa hat es Anfang der 80er Jahre in dem jetzt belasteten Gebiet eine Deponie für Bohrschlämme gegeben, die aus Erkundungsbohrungen im Dollart stammten. Die Giftstoffe können aber auch aus dem Schlick der Ems bei Überschwemmungen auf die Weiden gelangt sein, ähnlich wie dies in Problembereichen an der Elbe der Fall ist. Das Landesamt hat bisher vier von neun im Frühsommer genommenen Proben ausgewertet. Drei davon lägen deutlich über dem zulässigen Grenzwert von 1,25 Nanogramm pro Kilogramm und hätten den Grenzwert im Schnitt um das Doppelte übertroffen, sagte die Laves-Sprecherin. Fünf Ergebnisse der Laboruntersuchung stehen noch aus. Die Proben stammen von beiden Seiten der Ems auf Höhe der Orte Jemgum und Nüttermoor, nordwestlich von Leer in Richtung Emden.

Ins Rollen gekommen waren die Untersuchungen durch einen BSE-Verdacht in der Region. Er liegt ein Jahr zurück. Das Laves schickte damals Kontrolleure an die Ems, die bei dieser Gelegenheit auch gemähtes Gras untersuchen ließen, das als Futter für Tiere gedacht war. Zwei Proben prüfte das Laves auf die giftigen Verbindungen - eine habe den Grenzwert damals sogar um das Vierfache überschritten. Schrandt zufolge wurde das Gras nicht verfüttert. Verbraucher seien nicht gefährdet. Welchen Umfang die Verseuchung habe, müssten die weiteren Tests zeigen. Im Laves wird derzeit Milch untersucht, der Landkreis Leer will nach eigenen Angaben auch Schafe aus dem Gebiet aufkaufen und kontrollieren.

Nach Angaben des Sprechers im hannoverschen Agrarministerium, Gert Hahne, handelt es sich bei den Werten um eine deutliche Überschreitung der zulässigen Höchstmenge. Nun werde untersucht, ob sich der Stoff in Schafen und Rindern angehäuft habe und so möglicherweise eine Gesundheitsgefahr für Verbraucher bestehe. Bei Lebensmittelkontrollen sei bisher nichts aufgefallen, sagte Hahne.

In dem Überschwemmungsgebiet an der Ems wächst Gras, das Landwirte als Futtermittel - sogenannte Grassilage - nutzen. Der Landwirt, bei dem die Grassilage-Probe auffällig war, sei mit einem Fütterungsverbot belegt worden. Sprecher Hahne zufolge prüften die Behörden jetzt, ob die Tiere weiter auf den in Frage kommenden Flächen weiden oder dort gemähtes Gras fressen dürfen. "Wenn es ein flächendeckendes Problem ist, könnte das ein komplettes Nutzungsverbot zur Folge haben", sagte der Ministeriumssprecher. Darauf pochte am Montag der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Christian Meyer aus Gründen der Vorsorge.

Die Landwirte fürchten diese Konsequenz. "Das wäre ein massiver Eingriff in die Bewirtschaftung", sagte Justus Ackermann, Vizepräsident im Landwirtschaftlichen Hauptverein Ostfriesland. Je nach Betrieb schwanke die Abhängigkeit von den Weideflächen an den Überschwemmungsgebieten. "Wenn ein komplettes Nutzungsverbot kommt, könnte das für einige schon existenzbedrohend sein", sagte Ackermann. Der Grünen-Politiker Meyer forderte bei einem Nutzungsverbot eine Entschädigung der Landwirte.

Die Behörden wollen am Donnerstag über das weitere Vorgehen beraten. Der Leeraner Landrat Bernhard Bramlage (SPD) forderte am Montag, alle Flächen im Deichvorland, die landwirtschaftlich genutzt werden, untersuchen zu lassen. Sollten Belastungen festgestellt werden, "muss man zunächst ein Nutzungsverbot verfügen". Vorrang habe es, zu klären, "ob es Belastungen bei Milch oder Fleisch gibt." Der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Friedrich-Otto Ripke, sagte: "Wir tun alles, um die Ursachen zu finden und eine Verbraucher-Gefährdung auszuschließen. Die ist zur Zeit auch nicht gegeben."

Die 1989 verbotenen PCB kamen unter anderem bei Schmierstoffen und Hydraulikflüssigkeiten zum Einsatz, aber auch in Lack für Schiffe. Landrat Bramlage will bei der Ursachenfrage "nicht spekulieren". Er sagte aber: "Wenn ich mir die Karte angucke, was die Verteilung der Probenentnahmen angeht, glaube ich nicht, dass man sich über punktuelle Ursachen unterhalten wird."

Der am Wochenende anstehende Sommerstau-Versuch an der Ems scheint indes nicht in Gefahr. "Dabei wird kein Vorland überspült", sagte der Sprecher des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Achim Stolz, in Norden. Für den Probestau werde der Flusspegel auf 1,75 Meter über Normalnull gebracht. Das liege nicht weit über dem Wert des mittleren Tidehochwassers. Pegelstände dieser Art ergäben sich auch aus dem "ganz normalen" Wechsel der Gezeiten. Der Grünen-Experte Meyer rief indes zu einem Verzicht auf den Sommerstau auf, da die Gefahr bestehe, dass sich giftige Stoffe weiter verbreiteten.

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