Internetzensur in China: Die große Mauer des Schweigens

Chinas Internet-Unterdrückung funktioniert. Nicht nur wegen der Technik, sondern auch aufgrund von Selbstzensur und gesellschaftlichem Druck.

Auch im olympischen Pressezentrum sind nicht alle Websites abrufbar. Bild: reuters

Die Organisation "Reporter ohne Grenzen", die sich für die freie journalistische Arbeit und die Meinungsfreiheit in der ganzen Welt einsetzt, beauftragte im vergangenen Jahr einen chinesischen IT-Experten damit, die Zusammenhänge der chinesischen Zensur zu ermitteln. Internet-Nutzer können sich von China aus über kritische Themen im Netz nicht informieren. Die Studie mit dem Titel "Reise in das Herz der Internet-Zensur" legte offen, dass Peking kolossale finanzielle und personelle Mittel in die Informationsunterdrückung investiert: Chinesische Websites und Weblogs seien sowohl auf nationaler als auch lokaler Ebene in den Propaganda-Apparat der Regierung integriert, schließt der Bericht.

Chinesische Blogger informieren ungefiltert über das, was in ihrem Land passiert. Das Risiko, das sie dabei eingehen müssen, macht ihre Seiten umso authentischer.

Isaac Mao gilt als "erster Blogger Chinas". Sein Angebot "Life 2.0" ging bereits vor sechs Jahren an den Start. In seinem Blog berichtet er auf Englisch und Chinesisch über sein Leben und aktuelle Entwicklungen. 2005 musste er die Zensur seiner eigenen Seite hinnehmen, weil er über das komplizierte chinesische Internet-Filtersystem schrieb. Das scheint den staatlichen Wächtern nicht geschmeckt zu haben.

Aus Städten wie Peking oder Shanghai hört man auch im Westen recht viel. "The Opposite End of China" beschäftigt sich mit Nordwestchina und der Region um Xinjiang. Autor Michael, der auch gerne Videos und Bilder online stellt, ist Zugereister: Ursprünglich stammt er aus den USA.

Das Netzwerk, zu dem "Shanghaiist" gehört, hat auch Blogs in New York, Los Angeles oder London. Es berichtet über das aktuelle Geschehen in der Millionenstadt, von Kultur und Shopping, traut sich aber auch, heiße Eisen wie Zensur oder die Terrorängste bei Olympia anzugehen.

Bis zu 50 Millionen Blogger soll es in China inzwischen geben. Die "China Blog List", kurz CBL, sammelt inzwischen über 500, die langnasenfreundlich auf Englisch aus dem Land berichten. Man kann sich nach Orten orientieren oder auch derzeit besonders beliebte Angebote begutachten. "Wir wollen dem Rest der Welt einen einfach erreichbaren Zugriff auf Berichte aus erster Hand geben", heißt es in der Selbstbeschreibung.

Das Kontrollsystem, das "Reporter ohne Grenzen" aufdeckte, ist mehrstufig und erinnert nicht nur ausländische Beobachter an eine Orwellsche Bürokratie. Demnach sind allein drei Regierungs- und Parteibehörden federführend beteiligt: Das "Büro der Internet-Propaganda-Verwaltung", das "Büro für Information und öffentliche Meinung" sowie das "Internet-Büro". In Peking, wo die wichtigsten kommerzielle Website-Betreiber des Landes sitzen, wurde zusätzlich eine örtliche Behörde aufgebaut, die sich "Pekinger Verwaltungsbüro für Internet-Informationen" nennt. Bis zu 30.000 Beamte sollen mit der Internet-Zensur beschäftigt sein - doch diese Zahl bestätigt natürlich niemand.

Das "Internet-Büro", 2006 von der KP ins Leben gerufen, führt auch eine "ideologische Kontrolle" durch. Mitarbeiter der Propagandabehörden werden in Kursen auf die Parteizensurlinie gedrillt - und selbst Manager und Redakteure von Online-Firmen werden mindestens einmal im Jahr herbeizitiert, um an einer Reise zu den Geburtsstätten des Kommunismus in China teilzunehmen. Laut "Reporter ohne Grenzen" waren bei einem dieser Indoktrinationstripps im Jahr 2007 Mitarbeiter von 18 Internet-Firmen dabei - darunter die US-Firma Yahoo, die gemeinsam mit einem chinesischen Partner ein Portal im Land betreibt.

Doch die Propagandbürokratie ist nur der eine Teil der Zensurmaßnahmen, der technische Zensurapparat der andere. Eine "große Firewall" sorgt mit Hilfe von Filtertechnologien dafür, entweder ganze Websites oder einzelne Seiten aus dem Ausland für chinesische Nutzer zu sperren. Surft ein chinesischer Bürger dann auf ein solches Angebot, erscheint entweder eine Warnung oder die Seite wirkt so, als sei sie kaputt: Die von der Regierung kontrollierbare Infrastruktur setzt dann einfach die Verbindung zurück.

Perfekt ist die hierfür verwendete Technologie aber keineswegs. Das Internet war schon immer redundant aufgebaut - verschiedene Wege führen zum selben Ziel. Bestimmte Tricks funktionieren deshalb auch in einem Land, in dem der Staat alle Außenverbindungen des Netzes kontrolliert. So können Chinesen, die freien Zugriff auf das Internet haben möchten, beispielsweise so genannte "Proxys" verwenden: Diese Rechner stehen im freien Ausland und werden einfach in den Browser eingetragen. Anschließend laufen alle Anfragen vom heimischen Rechner direkt über diese Server statt über das chinesische System. So wird die örtliche Zensur umgangen, man erhält alle gewünschten Informationen direkt aus dem Ausland. Eine andere Methode, die "große Firewall" zu umgehen, sind so genannte "virtuelle private Netzwerke" (VPNs). Dabei wird im wahrsten Sinne des Wortes ein Tunnel durch das zensierte Netz gegraben: Eine verschlüsselte Verbindung, die ihr Ziel wiederum im freien Ausland hat. Über diese Leitung laufen dann alle Surfausflüge. Auch hier fühlt es sich dann so an, als surfe man außerhalb des blockierten chinesischen Netzes.

Zwar lassen sich Verbindungen sowohl über VPNs als auch zu Proxys von den Zensoren unterbinden - allerdings nur dann, wenn ihnen bekannt ist, welche Adressen diese nutzen. Da die Angebote aber ständig wechseln, ist es schwierig, mit ihnen Schritt zu halten - das Katz-und-Maus-Spiel verlieren in der Regel die Zensoren. Aus diesem Grund hat China noch eine zweite Ebene der Informationsunterdrückung entwickelt: soziale Kontrolle und Selbstzensur. Sie sorgen dafür, dass Nutzer, die an westlichen Internet-Angeboten interessiert sind, zu viel Angst davor haben, die oben erwähnten Tricks überhaupt zu verwenden, so technisch einfach sie auch sein mögen. Es gibt außerdem viele Chinesen, die nicht nachfragen und sich mit dem begnügen, was sie im "chinesischen Internet" vorfinden - auch, weil für ausländische Angebote ja eine Sprachbarriere zu überwinden ist. Zudem gibt es im heimischen Netz längst alles, was man sich vorstellen kann: Populäre US-amerikanische Angebote werden schnell in spezielle chinesische Versionen überführt. Das lässt sich auch am Marktanteil ablesen: So hat das führende Portal des Landes, Baidu.com, fast 65 Prozent aller Nutzer regelmäßig bei sich zu Besuch, während Googles chinesisches Angebot auf magere 26 Prozent kommt.

Bürgerrechtler kritisieren, dass sich auch ausländische Online-Konzerne aktiv am System der Informationsunterdrückung beteiligen. Egal ob Yahoo, Microsoft oder Google - die großen amerikanischen Internet-Suchmaschinen üben sich ebenfalls in Selbstzensur. Wer "Google.cn", das chinesische Google-Portal, verwendet, kann sich dort beispielsweise nur schwer über den tibetischen Freiheitskampf, die gescheiterte Revolution auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen in China informieren - viele entsprechende Ergebnisse werden ausgefiltert. Yahoo und Microsoft machen es ähnlich. Zwar fanden Studien heraus, dass das Angebot der Amerikaner stets größer ist als das der lokalen Suchmaschinen, die noch mehr zensieren. Doch die Grundlinie der Informationseinschränkung bleibt. Schlimmer noch: Hier waltet nicht etwa eine übergeordnete Instanz, die den Web-Firmen genau mitteilt, was geht und was nicht. Stattdessen sind die Regeln so weit gefasst, dass die Programmierer der Suchmaschinen selbst entscheiden, wie viel geblockt wird. So fand eine Untersuchung der Universität von Toronto kürzlich heraus, dass sich das, was bei Yahoo, Microsoft und Google zensiert wird, teilweise deutlich unterscheidet.

Da hilft zunächst auch wenig, dass sich die Online-Riesen in diesem Monat auf einen gemeinsamen Verhaltenskodex einigten, der künftig dafür sorgen soll, dass es Zensoren in China und anderen Ländern schwerer gemacht wird. Noch weiß niemand, wie dieser genau aussehen soll. So lange herrscht im Zweifelsfall das Streben nach Profit und Teilhabe im inzwischen größten Online-Markt der Welt vor. Bei Google antwortet man auf Nachfrage mit der Metapher, dass man seinen Nutzern mit "Google.cn" immerhin eine Bibliothek bieten könne, in der "98 Prozent der Bücher" verfügbar seien. Das sei doch besser, als den Chinesen gar keinen Zugriff zu ermöglichen.

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