Neue Ausrichtung für Zivildienst: Deutschland hat den 2.500.000. Zivi

In Stuttgart tritt ein Jubiliäumszivi seine Stelle an. Strukturell ist der Dienst in der Krise.

Dienst am Rollstuhl: 85 000 junge Männer entscheiden sich jedes Jahr für den Zivildienst. Bild: dpa

BERLIN taz Unter normalen Umständen erregt der erste Arbeitstag eines neuen Zivildienstleistenden in der Stuttgarter Jugendherberge nur begrenzt Aufsehen. Am Montag war das anders, im Billighotel herrschte den ganzen Tag Feierstimmung. Der Grund: Mit Markus Porada trat der 2,5-millionste Zivi in Deutschland seinen Dienst an. Neun Monate wird der 19-Jährige jetzt im Servicebereich arbeiten - er wird Stullen schmieren, Snacks reichen und Tagungsräume herrichten.

Für den Bundesbeauftragten für den Zivildienst, Jens Kreuter, war das Jubiläum der Anlass, einmal ganz grundsätzlich die Entwicklung und Bedeutung des Gemeinschaftsengagements zu resümieren. "Der Zivildienst ist eindeutig ein Erfolgsmodell und für jeden jungen Mann eine persönliche Bereicherung", sagte Kreuter. Auch die Zahlen, die er mitbrachte, klingen vielverspechend. Während voriges Jahr noch knapp 85.000 junge Männer ihren Sozialdienst antraten, wird für das laufende Jahr mit rund 88.000 gerechnet. Die Zivizahl wächst, das kommt vor allem der Pflegebranche zugute. Etwa 70 Prozent der jungen Kriegsdienstverweigerer leisten stationäre und ambulante Hilfe für alte, kranke und behinderte Menschen.

Dabei deutete zumindest zahlenmäßig in den letzten Jahren alles darauf hin, dass die 1961 ins Leben gerufene Institution Zivildienst ein Auslaufmodell ist. Zwischen 1997 und 2006 stürzte die Zahl derer, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigerten und stattdessen in Sozialeinrichtungen arbeiteten, von gut 130.000 auf knapp über 80.000 ab. Bei der Musterung wurden immer mehr Ausnahmen gewährt, die Debatten über Wehrgerechtigkeit und Berufsarmee wurden schärfer und die Dienstzeit wurde schrittweise von 20 auf 9 Monate verkürzt. Viele Einrichtungen zogen daraufhin ihre Stellenangebote zurück, weil sich für diesen Zeitraum die intensive Einarbeitung der jungen Männer kaum lohnte.

Jetzt ist zumindest der dramatische Abwärtstrend gestoppt. Ein erstes Zeichen dafür, dass der neue Ansatz der Bundesregierung wirken könnte. Im Koalitionsvertrag hatte sich die große Koalition darauf geeinigt, den Zivildienst zum Lerndienst weiterzuentwickeln und ihn gegenüber Arbeitgebern stärker als wichtige Voraussetzung für beruflichen Erfolg herauszustellen. Seit 2006 wurden dafür an Zivildienstschulen und in Wohlfahrtsverbänden etliche Modellprojekte gestartet, in denen Zivis die Möglichkeit gegeben wird, ihre Arbeit zertifizieren zu lassen. "Zertifizierter Helfer für Soziale Dienste" steht dann auf dem Zeugnis, Fachwissen und Sozialkompetenz sollen sich gegenüber dem Arbeitgeber später leichter belegen lassen.

Aus Sicht des Bundesbeauftragten Kreuter ist das schon jetzt eine erfolgreiche Strategie. "Auch bei den Arbeitgebern sind ehemalige Zivildienstleistende inzwischen sehr angesehen", urteilt Kreuter, "denn sie wissen, dass die jungen Männer im Rahmen ihrer Tätigkeit wertvolle Schlüsselqualifikationen erworben haben."

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