Chinesischer Nationalismus: Vaterland will nicht zu viel Liebe

Die Veranstalter haben im Vorfeld der Spiele vieles unternommen, um den wachsenden Nationalismus einzudämmen. Fragt sich, ob die chinesische Bevölkerung das verstanden hat.

China könnte einen gelassenen, selbstbewussten Nationalismus zur Schau tragen. Bild: reuters

PEKING taz Die roten Flaggen sind mal groß, mal klein, sie hängen mal, in hellem Rot glänzend, direkt vor dem Eingang und wollen auffallen. Mal stecken sie, dunkelrot verwaschen, in einer Fensternische und wollen übersehen werden. So gut wie jedes Haus in Peking ist mit einer chinesischen Nationalflagge geschmückt. Im Grunde ist es wie an jedem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober. Und doch: Zu Olympia hätte man eigentlich erwartet, dass auch die Fahne mit den fünf olympischen Ringen vor jeder Pekinger Haustür weht. Aber sie ist nur vor den Sportstätten und Hotels aufgezogen. Ist also der vielbeschworene olympische Geist doch nicht so verbreitet in China? Wird Olympia von den Chinesen doch nur als großes nationales Fest gefeiert?

Das war immer der große Vorwurf gewesen: dass die Chinesen die Spiele nur nutzen, um ihren Nationalismus zu schüren. Wie die Deutschen 1936. Deshalb unternahmen die chinesischen Veranstalter im Vorfeld vieles, um den Vorwurf abzuwehren: Sie ließen landesweit olympischen Unterricht an den Schulen erteilen, die olympischen Prinzipien lehren, Fairplay und die Menschenrechte. Sie überzogen das Land mit olympischer Propaganda: aber nicht nach der Formel "China als Nummer eins", sondern nach dem Olympia-Motto "Eine Welt, ein Traum". Sie ließen hundert chinesische Showstars die Olympia-Schnulze "Peking heißt euch willkommen" singen. Jede Stunde hört man das Lied jetzt im chinesischen Staatsfernsehen.

Doch den Vorwurf konnte die Propaganda nicht entkräften. Schließlich blieb sie Propaganda. Sie schien nur dazu gemacht, den anscheinend ohnehin vorhandenen Nationalismus der Chinesen zu vertuschen. Und trugen nicht viele der Olympia-Gäste, die am Eröffnungstag geduldig vor den vielen Sicherheitskontrollen am neuen Olympia-Stadion Schlange standen, ein "I love China"-Hemd oder hatten ein rotes China-Herz als Anstecknadel auf der Brust? Waren T-Shirt und Anstecknadel die Symbole des chinesischen Olympia-Nationalismus?

Wenn ja, könnte das die Welt beruhigen. Denn wenn es den Chinesen gelingt, während der Olympischen Spiele ihren Nationalismus mit Fähnchen und Fangeschrei auszudrücken, dann könnte sich China vielleicht sogar von dem Verdacht eines bösen, aggressiven Nationalismus befreien. Die KP könnte es bei ihrer olympisch inspirierten Propaganda während der Spiele belassen. Sie könnte auf Protest, wie nach der ersten Tibet-Aktionen diese Woche in Peking, weiter unaufgeregt reagieren. Und die Chinesen könnten sich am Ende mehr für Lionel Messi begeistern, der am Donnerstag das erste Tor für Argentinien schoss, als für ihre eigenen Tischtennisspieler. Das Land könnte, wenn alles gut geht, einen gelassenen, selbstbewussten Nationalismus zur Schau tragen, wie ihn die Welt bisher nicht kennt. Dafür ist es trotz allen politischen Streits vor den Spielen nicht zu spät.

Die schlechten Erinnerungen aber sind noch jung. Zuletzt im Frühjahr 2005 flammte in China ein Feuer nationalistischer Empörung auf - gegen Japan, dem China mal wieder die Geschichtsrevision in seinen Schulbüchern vorwarf und einem Platz im Weltsicherheitsrat missgönnte. Damals sah, hörte und spürte man auf den Straßen, in den Medien, im Internet den gehässigen Nationalismus der Chinesen. Er gipfelte in den Gewalttätigkeiten chinesischer Fans beim Endspiel der Fußball-Asienmeisterschaft zwischen China und Japan im Pekinger Arbeiterstadion, das Japan souverän gewann. Die Fans zertrümmerten daraufhin den Wagen des japanischen Botschafters.

Ein ähnlicher Vorfall während der Olympischen Spiele würde ausreichen, den chinesischen Nationalismus weltweit erneut unter Generalverdacht zu stellen. Aber die KP weiß das. Sie hat seit 2005 alles Denkbare unternommen, um die Beziehungen zu Japan zu verbessern - wohl wissend, dass es der alte Kriegsgegner ist, der in China immer noch am leichtesten den Hass des eigenen Volkes auf ein anderes Volk weckt. KP- und Staatschef Hu Jintao war im Mai und Juli gleich zweimal in Japan, gestern empfing er den japanischen Premierminister Yasuo Fukuda zur Eröffnungsfeier der Spiele. Klarer konnte er nicht signalisieren, dass er bei diesen Spielen keine nationalistische Randale will. Fragt sich nur noch, ob ihn die Chinesen auch verstehen.

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