Sorge um Sicherheit bei Olympia: Gewalt vor den Spielen

Vier Tage vor Olympia-Beginn haben Attentäter 16 Polizisten in der Region Xinjiang getötet. Die Behörden verhafteten Angehörige der uigurischen Minderheit.

Die Stadt, in der das Attentat stattfand: Kaschgar. Das Bild zeigt Sicherheitsmaßnahmen beim olympischen Fackellauf im Juni. Bild: ap

PEKING taz Einer wähnte sich fast schon sicher. "Die terroristische Bedrohung sollte nicht übertrieben werden", sagte der Vizepräsident der chinesischen Autonomen Region Xinjiang, Kurexi Maihesuti, vergangenen Freitag. Die Xinjianger Polizei habe dieses Jahr drei bis vier Terroristengruppen festgesetzt. "Das ist alles", sagte Kurexi. Doch das war nicht alles.

In der Nähe des Platzes des Himmlischen Friedens in

Peking haben am Montag etwa 20 Demonstranten gegen die Zwangsräumung ihrer Häuser wegen der Olympischen Spiele protestiert. Polizisten riegelten die Wohnstraße umgehend ab. Die Demonstrantin Liu Fumei sagte: "Wir sind nicht gegen die Olympischen Spiele. Aber es ist nicht richtig, unsere Häuser abzureißen." Die Demonstranten wurden nach eigenen Aussagen aus ihren Häusern in einem nahe gelegenen Viertel vertrieben, um Platz für eine Einkaufsmeile mit Firmen wie Nike, Starbucks und Rolex zu machen. In Aufnahmen der Fernsehnachrichtenagentur APTN war zu sehen, wie sich Liu ein Handgemenge mit mehreren Frauen lieferte, die nach eigenen Angaben einer Nachbarschaftswache angehörten. Nachbarschaftswachen arbeiten in China eng mit der Polizei zusammen. Wohin die Demonstranten gebracht und ob sie festgenommen wurden, ist unklar. Ein Polizeisprecher sagte, er wisse nicht, was mit ihnen geschehen sei.

Am Montagmorgen um acht Uhr schlugen in der westchinesischen Basar-Stadt Kaschgar zwei Attentäter auf offener Straße zu. Sie fuhren in einem kleinen Lastwagen auf eine Gruppe Polizisten zu, die im Stadtzentrum gegenüber einem Hotel ihren Morgenlauf machten. 14 Polizisten waren sofort tot. Der Lastwagen schlug gegen einen Pfeiler, die beiden Angreifer sprangen aus dem Führerhaus und warfen handgemachte Granaten auf die nahe Polizeistation. Fünf Explosionen waren zu hören. Die Angreifer gingen mit Messern auf die Polizisten los. Zwei Beamte starben später im Krankenhaus. 16 weitere wurden verletzt.

Es war der schwerste bekannte Terroranschlag gegen den chinesischen Staat seit Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949. Was das Land an schlimmerem Terror zuvor erlebte, ging auf das Konto des Regimes, zuletzt das Massaker der Volksarmee bei der Niederschlagung der Studentenrevolte im Jahr 1989. Dann hatte China viele Jahre kein größeres Blutbad erlebt, bis in diesem März der Aufstand der tibetischen Bevölkerung in Lhasa nach offiziellen Angaben 21 Todesopfer forderte.

Nun aber haben die Attentäter in Kaschgar Chinas Minoritätenkampf an zweiter Front eröffnet. Wie Peking die Herausforderung annimmt, war gestern nicht klar. Zwar berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua zunächst ausführlich über das Attentat, doch wurden die Schlagzeilen schon bald wieder von Meldungen verdrängt, die "sorgenfreie Olympische Spiele in Peking" versprachen. Auch sperrte die chinesische Internetpolizei Websites westlicher Medien wie der International Herald Tribune, die ausführlich über einen möglichen terroristischen Hintergrund des Attentats berichteten. Offenbar will die chinesische Propaganda dafür sorgen, dass die Attentäter dem Land nicht die Festlaune vor den Spielen verderben.

Bestätigt dürfte sich der chinesische Sicherheitsapparat fühlen, der den Olympiavorbereitungen zuletzt immer mehr seinen Stempel aufgedrückt hatte. "Die größte Bedrohung für die Olympischen Spiele sind die islamischen Separatisten", sagte noch vor wenigen Tagen ein hochrangiger Offizie, der für die Sicherheit der Spiele zuständig ist. Tatsächlich vermutet die chinesische Polizei, dass die Attentäter Mitglieder der Ostturkmenischen Islamischen Bewegung (Etim) sind. Man habe Hinweise darauf erhalten, dass die Gruppe zwischen dem 1. und 8. August Anschläge plane, sagten die regionalen Polizeibehörden. Sie hätten beide Attentäter festgenommen.

Die Etim wurde auf Drängen Chinas schon 2002 auch von den USA als terroristische Bewegung bezeichnet und auf einen internationalen Index gesetzt. Rohan Gunaratna, Leiter des Internationalen Zentrums für Forschung über politische Gewalt an der Nanyang-Universität in Singapur, sieht Etim als Gruppe mit bis zu 50 Mitgliedern, die Verbindungen zu al-Qaida unterhält und ihre Basis in den umkämpften Stammesgebieten Pakistans hat. Er selbst habe Attentate der Gruppe während der Olympischen Spiele erwartet. "Die Chinesen verstehen nicht, wie diese Gruppe funktioniert, und ihr hartes Vorgehen gegen die Uiguren im Allgemeinen wird nur mehr Uiguren zu Radikalen machen", sagt Gunaratna.

Der Konflikt zwischen Han-Chinesen und Uiguren ist alt (siehe unten). Seit Ende der 90er-Jahre gibt es Anschläge von Mitgliedern der islamisch geprägten uigurischen Minderheit im Westen Chinas. Seither ist von versprengten uigurischen Gruppen die Rede, die die Unabhängigkeit ihres Landesteils fordern. Chinesische Quellen sprechen von 160 Opfern, die der uigurische Unabhängigkeitskampf seit den 90er-Jahren forderte. Noch höher ist wahrscheinlich die Zahl der in derselben Zeit wegen "separatistischer Aktivitäten" zum Tode verurteilten Uiguren. Am 3. Juli wurden unweit von Kaschgar drei Uiguren wegen Aktivitäten für die Etim exekutiert. Am Tag zuvor hatten Polizisten bei einer Razzia in der Provinzhauptstadt Urumqi fünf Uiguren getötet, denen sie Teilnahme an einem "heiligen Krieg gegen China" vorwarfen. In den ersten sechs Monaten des Jahres hatte die Polizei insgesamt 82 Uiguren mit Hinweis auf angebliche terroristische Pläne für Olympia verhaftet. In der Folge solcher Verhaftungen wurden die Sicherheitsmaßnahmen für die am Freitag beginnenden Olympischen Spiele immer weiter verschärft. Derzeit seien rund um Peking 34.000 Militärpolizisten, 74 Flugzeuge, 47 Hubschrauber und 33 Kriegsschiffe im Einsatz, sagte ein Oberst des olympischen Sicherheitskommandos.

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