Deutsche Politiker reißen niemanden mit: Rock it like Obama

Nicht nur an der Rhetorik mangelt es. Deutsche Politiker sind der Liste verpflichtet - amerikanische dem Wähler. Sind deutsche Politikerreden deswegen so todlangweilig?

Die begeisterten Mienen von Angela Merkel und Frank Walter Steinmeier sagen alles: wenn deutsche Politiker reden, springen Funken über. Bild: AP

BERLIN taz Deutsche Politiker wollen auch mal rocken wie Obama. Aber die Merkels und Steinmeiers schwitzen. Seit Tagen stehen sie in Barack Obamas Schatten und müssen sich eingestehen: Sie reißen die Massen einfach nicht mit.

Ein deutscher Minister, der schon beim Aussteigen aus seiner Limousine von kreischenden Fans umringt wird und Autogramme geben soll - das ist ein Bild, das sich selbst Kommunikationsexperte Thomas Heilmann nicht vorstellen kann, der deutsche Politiker berät und einen guten Draht zu Kanzlerin Angela Merkel haben soll. Im Gegenteil, Politikerreden findet er häufig "gähnend langweilig".

Heilmann war bis vor kurzem Vorstandsvorsitzender bei der Werbeagentur Scholz & Friends und lehrt Kommunikationsplanung an der Universität der Künste in Berlin. Seine Diagnose: "Deutsche Politiker verfangen sich zu sehr in den Details und Maßnahmen, dabei wollen viele Wähler wissen: Wem kann ich vertrauen, dass er auch in zwei Jahren gute Entscheidungen trifft?"

Auch Jenik Radon, Politikprofessor an der Columbia University in New York und Mitglied im Finanzkomitee von Barack Obama, greift oft zur Fernbedienung, wenn deutsche Politiker sprechen. Der Amerikaner stammt aus Berlin und reist fast jeden Monat nach Deutschland. "Boring like hell" - auf Deutsch: höllisch langweilig - findet Radon immer wieder die Aufzählung von Details in manchen Reden. "Oft fehlt die Vision, die dahinter steht, wohin sich Deutschland und die Deutschen bewegen werden", bemängelt er.

In amerikanischen Wahlkämpfen beobachtet Radon seit Jahren einen ganz anderen Stil: Amerikanische Politiker gehen selten auf Einzelheiten ein, sondern setzen auf Konzepte. Sie sprechen mit Emotion, verbreiten eine Idee. Und sie fokussieren viel mehr auf die Person statt die Partei.

Bei Jenik Radon selbst hat das so gut funktioniert, dass er abwechselnd Republikaner und Demokraten gewählt hat, je nachdem, ob ihn der "Charakter der Person überzeugte": die Republikaner Ronald Reagan und George H. W. Bush - später aber die Demokraten Bill Clinton und Al Gore. Jetzt arbeitet er für Obamas Finanzierungsteam. "Die Amerikaner beurteilen Kandidaten stark nach dem Charakter", sagt Radon, "aber in Deutschland merken Politiker gar nicht, dass sie auch inspirieren müssen."

So ganz stimmt das nicht. Viele Politiker in Deutschland recken und strecken sich, um amerikanischer zu werden. Auf dem Videoportal YouTube kann man sich ansehen, wie SPD-Generalsekretär Hubertus Heil auf dem Zukunftskonvent der Partei Ende Mai versuchte, Obamas Wahlkampfspruch zu nutzen. "Sprecht mir nach: Yes, we can!", hatte er von der Bühne herabgerufen, einmal, zweimal - aber die Genossen pressten die Lippen zusammen.

Warum klappt das nicht? Den Grund dafür sieht Kommunikationsexperte Thomas Heilmann zum einen in persönlichen rhetorischen Fähigkeiten. Zum anderen können aber junge Politiker den amerikanischen Stil kaum lernen: Während in Amerika die Direktwahl ein Gespür für die Wähler erfordert, hängt eine deutsche Karriere von der parteiinternen Listenplatzvergabe ab, nicht davon, ob man mit dem Publikum flirten kann. "Das System in Deutschland ist anders", sagt Thomas Heilmann. Trotzdem: "Die Politiker könnten schon optimieren."

Angela Merkel hat es auch schon versucht. Sie übersetzte Obamas "Yes, we can" ins Deutsche - und verlängerte es ein bisschen: "Wir können es also schaffen", sagte sie in ihrer Rede zur sozialen Marktwirtschaft im Juni. Keine große Geste - aber für ihre Verhältnisse mit Nachdruck und einer Portion Euphemismus. Ein tosender Applaus blieb aber nicht in Erinnerung.

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