Debatte Transatlantische Beziehungen: Das Ende des Antiamerikanismus

Europa und die USA sind einander in den Jahren der Bush-Regierung fremd geworden. Auch Barack Obama wird den Graben nicht schließen können.

Die Begeisterung, die Obama in Europa entgegenschlägt, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Amerikas Image hat in den Bush-Jahren schweren Schaden genommen. Umfragen zeigen: Nur 36 Prozent der Europäer, zum Beispiel, sehen eine Führungsrolle der USA in weltpolitischen Angelegenheiten als wünschenswert an. Noch geringer ist ihre Zustimmung zur Bush-Regierung: gerade mal 17 Prozent. Eine Mehrheit der Europäer betrachtet die USA sogar als die größte Gefahr für die internationale Sicherheit - mehr noch als den Iran, Russland oder Nordkorea!

Doch dies ist - anders, als etwa Andrei Markovits oder André Glucksmann argumentiert haben - kein Zeichen von Antiamerikanismus pur. Denn Antiamerikanismus ist eine allumfassende Antipathie gegenüber dem Land und seinen Leuten, eine oft irrationale, kulturell tief verwurzelte Aversion gegenüber einem vermuteten "Nationalcharakter" oder amerikanischen Werten. Antiamerikanismus zielt auf das, was Amerika angeblich "ist" - auf das "Wesen" der US-amerikanischen Gesellschaft. Rationale Kritik an Amerika hingegen darauf, was es tut - also auf seine Politik. Aber natürlich verschwimmen diese Unterschiede zuweilen: schließlich führt, was man "ist", zu dem, was man tut - und umgekehrt.

Die Bush-Regierung hat den Widerstand mancher europäischer Staaten - wie Deutschland, Frankreich und Russland - gegen den Irakkrieg als Ausdruck von Antiamerikanismus gedeutet. Intellektuelle wie Markovits und Glucksmann stießen ins gleiche Horn und behaupteten, der Antiamerikanismus in Europa sei heute sogar schlimmer als während des Vietnamkriegs oder zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses. Bei näherer Betrachtung aber wird deutlich, dass die europäischen Vorbehalte gegenüber den USA auf substanzielle Differenzen in politischen Fragen zurückgehen - auf widerstreitende Überzeugungen darüber, wie eine Gesellschaft im Inneren organisiert und die internationalen Beziehungen als Ganzes strukturiert sein sollten.

Eliten und Öffentlichkeit in Europa sind Washington gegenüber in vielen Punkten äußerst kritisch eingestellt: Das gilt für dessen Unilaterismus, die Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung und die Missachtung internationaler Verträge. Gefragt nach den Gründen für ihre kritische Einstellung gegenüber den USA nach 2002, gaben europäische Befragte als ersten Grund den Krieg im Irak, als zweiten die Person von George W. Bush an. Zwar gibt es in Europa auch echten Antiamerikanismus. Aber viele Studien zeigen, dass er vergleichsweise dünn gesät ist: in Großbritannien, Frankreich und Italien dümpelt er bei ungefähr zehn Prozent (in Griechenland ist er stärker). Die gleichen Studien zeigen auch, dass ein weit größerer Teil der Bevölkerung (rund ein Viertel) durchgehend große Sympathien gegenüber den USA hegt. Wie sonst sollte man auch den unglaublichen Obama-Hype in Europa erklären?

Der Widerwillen der Deutschen, sich am Angriff auf den Irak zu beteiligen, beruhte jedenfalls nicht auf Vorurteilen gegenüber Amerika. Der Vorwurf des Antiamerikanismus, um europäische Vorbehalte gegen den Irakkrieg zu erklären, ist im Grunde apolitisch: er wirft antiamerikanische Vorurteile und eine vernünftige, klarsichtige Kritik der außenpolitischen Irrtümer der Bush-Regierung in einen Topf. Damit wird effektiv jede Kritik an amerikanischer Außenpolitik diskreditiert, ob es nun die Klimapolitik, den Umgang mit der UNO oder die Haltung zu den Menschenrechten betrifft. Das ist auch der Grund, warum loyale Bush-Parteigänger ihn so gerne erheben.

Trotzdem hat die transatlantische Entfremdung tiefere Ursachen als nur Enttäuschung über die Bush-Regierung. Sie resultiert vielmehr daraus, dass sich die Wege seit dem Ende des Kalten Kriegs grundlegend getrennt haben. Während des Kalten Kriegs gab es - in Hinsicht auf geteilte Werte, Institutionen und Prozeduren - einen grundsätzlichen Konsens darüber, was "der Westen" und "westlich" bedeuteten. Die Deutungshoheit darüber lag, als Resultat der europäischen Schwäche nach dem Zweiten Weltkrieg, überwiegend bei den USA.

Mit dem Ende des Kalten Krieges lockerte sich nicht nur Europas strategische Abhängigkeit von den USA - es löste die USA auch als ökonomisches Modell, als kulturelles Mekka, als politisches Zentrum von Europa. Dieser Prozess war begleitet von einem tiefgreifenden sozialem Wandel in Europa und den USA, welcher die Unterschiede nur noch stärker hervortreten ließ (etwa was religiöse Einstellungen, Demografie, Einkommensverteilung und Einwanderungsströme betrifft). Eine Generation, die in einer globalisierten Welt aufgewachsen ist, braucht den einstigen Hegemon heute nicht mehr zur eigenen Orientierung. Die jungen Leute in Westeuropa sind deshalb auch viel weniger auf die USA angewiesen als ihre ach so radikalen 68er-Eltern.

Dieser Wandel betrifft vor allem Europas eigenes Selbstverständnis: Europa als Anhänger eines "europäischen Gesellschaftsmodells", das sich durch kollektive Solidarität, die Praktiken eines Wohlfahrtsstaats, Postnationalismus und eingeschränkte Souveränität sowie Verantwortung für den Umweltschutz auszeichnet. Europäer - selbst jene, die eine strategische Führungsrolle der USA in der Welt bevorzugen - sind im wachsenden Maße davon überzeugt, dass ihr Gesellschaftsmodell gerechter und effektiver als das amerikanische ist. Diese Differenzen sind mit dem Konflikt über die Anti-Terror-Strategie der Bush-Regierung und ihr internationales Verhalten offen ausgebrochen. Dass Europa auf "soft power", Multilateralismus, die Prävention von Konflikten und internationale Gerichtshöfe setzt, hat zu einer eigenständigen Sicherheitspolitik und Diplomatie geführt - mit Antiamerikanismus hat das nichts zu tun.

Diese unterschiedlichen Präferenzen, was Gesellschaftsmodell, kulturelle Überzeugungen und außenpolitische Strategien betrifft, gehen in der Tat über das hinaus, was Amerika tut, und reichen in den Bereich dessen hinein, was Amerika ist. Aber solange man über diese Differenzen in einer Art und Weise debattiert, die auf rationaler Analyse und nicht auf gegenseitigen Ressentiments beruht, dann geht es hier um echte Alternativen.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die meisten Europäer froh sein dürften, George W. Bush gehen zu sehen. Ein Präsident, der sich mit europäischen Alliierten abspricht, internationales Recht respektiert und sich im Klimaschutz engagiert, kann viel tun, um das angeschlagene transatlantische Verhältnis zu verbessern. Aber auch Obamas Gesellschaftsverständnis und seine außenpolitischen Ziele haben mehr mit denen amerikanischer Republikaner als mit denen europäischer Sozialdemokraten gemein. Auch ein Präsident Obama wird deshalb nicht in der Lage sein, eine absolute Vorrangstellung Amerikas wiederherzustellen oder den Graben völlig zu schließen, der sich zwischen Europa und den USA aufgetan hat. PAUL HOCKENOS

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