Kommentar Mindestlohn: Selbst die CDU hat ein Einsehen

Die drohende Rezession könnte dafür sorgen, dass sich Union und SPD doch noch zügig einigen, wo der Mindestlohn gelten soll.

Ein Tag, zwei Nachrichten: Der deutsche Aktienindex DAX ist am Mittwoch kurzzeitig unter die Marke von 6.000 Punkten gefallen - offenbar können selbst Anleger nicht mehr übersehen, dass eine Rezession droht. Und zeitgleich hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, den Mindestlohn auf weitere Branchen auszudehnen. Zunächst scheinen diese beiden Nachrichten nicht viel miteinander zu tun zu haben. Doch für die Psychologie der kommenden Wahlkämpfe könnte es durchaus bedeutsam sein, dass die zähe Einführung des Mindestlohnes nun während der beginnenden Wirtschaftskrise stattfinden soll.

Denn zäh wird es bleiben beim Mindestlohn, ist doch der Koalitionskompromiss typisch deutsch: bürokratisch und geprägt von der Sucht nach Einzelfallgerechtigkeit. Für jede Branche muss nun separat geprüft werden, ob sie auch tatsächlich unter das Entsendegesetz fällt. Das kann dauern - selbst bei jenen Branchen wie der Zeitarbeit, wo sich Arbeitgeber und Gewerkschaften längst einig sind, dass sie einen Mindestlohn wollen. Die spannende Frage ist nun, welche der Volksparteien wohl dadurch gewinnt, dass sich das Thema Mindestlohn zum Dauerstreit entwickelt.

Noch vor einem halben Jahr schien die Antwort eindeutig: Zumindest die CSU konnte es sich leisten, gegen einen Mindestlohn zu sein. Schließlich ist das Wohlstandsniveau in Bayern so hoch, dass dort nur wenige mit Dumpinglöhnen zu kämpfen haben. Doch inzwischen dürfte die gefühlte Betroffenheit bei den Wählern zugenommen haben. Die Kürzungspläne bei Siemens oder der HypoVereinsbank führen selbst in Bayern vor, dass sozialer Abstieg eine reale Alternative ist. Pfiffig wirkt es daher nicht, dass sich CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos als Kämpfer gegen den Mindestlohn inszeniert - knapp vor den Bayern-Wahlen.

Die CDU ist da deutlich volksnäher: Nicht umsonst hat ausgerechnet das Kanzleramt Glos gezwungen, einzulenken. In der Krise wollen die Wähler Sicherheit. Endlose Debatten um den Mindestlohn stören da nur. Die drohende Rezession könnte daher dafür sorgen, dass sich Union und SPD doch noch zügig einigen, wo der Mindestlohn gelten soll. ULRIKE HERRMANN

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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