In mittelalterlicher Kulisse: Kirche öffnet Sinnfenster

Die Mönche auf den Emporen sind Attrappen, doch der Geldautomat im antiken Beichtstuhl ist echt. Spiritualität als Fortsetzung der Erlebnisgesellschaft? Kirchliche Sinnsuche im Freizeitpark Rust

Gott kann so nah sein: Achterbahn im Freizeitpark Rust Bild: dpa

Die Örtlichkeit stiftet Verwirrung. Kirche zeigt sich in echt und zeigt sich falsch. Das "Erlebnishotel Santa Isabel" im Europapark Rust ist wie ein portugiesisches Kloster gebaut. Das heißt: Viel falsches Mittelalter mit modernem Service. Das Personal serviert das Frühstück in sackleinenen Kutten, die Mönche auf den Emporen sind jedoch Attrappen. Die Bücher der Bibliothek sind aufgemalt, aber der antike Beichtstuhl im Foyer ist echt und der Geldautomat in seinem Inneren ist es auch. Nur wenige Schritte sind es von hier zur zauberhaften (echten?) Jakobuskapelle. Auf einem echten Altar steht ein falscher Jakob. Dann gibt es noch echte (einen katholischen und einen evangelischen) Seelsorger, die hier Andachten abhalten. Natürlich, Kirche und Klerus und Mittelalter, das passt. Denkt man sich. Doch das ungewöhnliche Ambiente dient selbst nur als Kulisse einer Tagung der Katholischen Thomas-Morus-Akademie zum aktuellen Wertewandel. "Das Religiöse im Säkularen" soll identifiziert werden. Kirche im Identitätswirrwarr.

Doch Klarheit ist heutzutage nirgends leicht zu haben. Nicht in den Phantasiewelten und Kulissenbauten der Schaustellerfamilie Mack, die den Europapark Rust seit über 30 Jahren erfolgreich betreibt, und erst recht nicht im echten Leben, wo neuerdings Sinnsuche und Spiritualität wieder erwacht sein sollen. Auch ist fraglich, ob die neuen Sehnsüchte nach Werten und Verbindlichkeiten, die von Trendforschern geortet werden, mit Religiösität zu tun haben. Bedeuten moderne Strategien zur Entschleunigung nun auch Kircheneintritt, und führt spirituelle Praxis vielleicht zur Demut vor dem Herrn?

Was viele Trendforscher inzwischen herausfinden, klingt ziemlich ernst. Als hätte unsere (ehemalige?) Spaßgesellschaft das endlose Lifestyleswitching satt und dränge auf Rückbesinnungen aller Art. Vom "Multitasking" auf Dauer überfordert, sei "die Mitte" nun schwer unter Druck geraten, so Christian Wenger von der "Gesellschaft für innovative Marktforschung" (GIM, Heidelberg). Den Mittelschichten drohe der "kollektive Burnout". Die "Lebensschnittstellen zu synchronisieren", erwiese sich zunehmend als Problem. Es stellten sich Fragen der Zugehörigkeit und nach dem Wesentlichen. Alles Fragen also, die sich ohne weiteres als Sinnsuche deuten lassen und die hier gern aufgegriffen werden. Natürlich kann man, kritisch gesehen, diese Art Spiritualität ganz banal als Fortsetzung der Erlebnisgesellschaft mit anderen Mitteln interpretieren, als mehr oder weniger folgenlosen Versuch, sich im Dauerstress selbst besser zu fühlen.

Aber Michael Ebertz von der Kathologischen Fachhochschule Freiburg hat für Spiritualität auch eine weitere Interpretation parat: Er beschreibt sie schlicht als "Haltung des Suchens". Er sieht durchaus Chancen der Entstehung einer neuen christlichen Gemeinschaftlichkeit . Und so rücken auch im Freizeitpark, wo das Religiöse im Zentrum steht, diese vieldiskutierten "Lohas" ins Zentrum, jene "neue bürgerliche Mitte", auf der große Zukunftshoffnungen ruhen.

Kirche und Vergnügungspark Bild: dpa

Das Kürzel Lohas für die Anhänger eines "Lifestyle of Health und Sustainibiliy" bezeichnet vor allem ein neues Konsumentenverhalten, das sich an gesunden Lebensmitteln, an nachhaltigen Entwicklungen und Regionalität orientiert und in Tat so etwas wie eine klassische Werteorientierung erkennen lässt. Lohas haben die optimistische Variante einer nachhaltigen Lebensweise entdeckt und behandeln Ökokonsum als Prestige und als Frage der Ästhetik. Ein Identitätsprojekt der Generation 2.0. So sehen sich Lohas selbst und so sehen sie auch die Trendforscher. Lohas verkörpern einen neuen Lebensstil, der nachhaltig zu sein verspricht. Und auch, es zu bleiben. Eine Begeisterung dieser unorthodoxen, fröhlichen Konsumenten für die traditionellen Dogmen der Kirche allerdings bezweifelt der Marktforscher Wenger. Für Lohas könnte längst gelten, was andere noch vor sich haben: eine Antwort auf die Identitätsfrage zu finden.

Doch die Kirchen sind bereit. Als "Präsenz am Wege", sagt Weihbischof Paul Werle aus Freiburg. Und sind bereit, "Sinnfenster" zu öffnen. Vor allem im Urlaub, wenn der individuelle Horizont sich weitet, wenn die Fragen kommen, ob das, was ist, wirklich alles ist im Leben. Kirchen bilden Oasen der Ruhe und Besinnung im Eventbetrieb und Freizeitrummel wie hier im Funpark Rust, sie engagieren sich in touristischen Hochburgen in der Urlauberseelsorge, sie sind offen für kulturelle Events und organisieren Freizeitgestaltung. Von seinem Arbeitsplatz "Südseecamp" in der Lüneburger Heide etwa berichtet der evangelische Pfarrer Bernd Knobloch: "religionsferne Mütter bringen ihre Kinder, damit die etwas von der Kirche und den Werten mitbekommen, und merken dann manchmal, dass es auch etwas für sie selbst ist." Auch die Jakobuskapelle des Themenhotels Santa Isabel sei beliebt, insbesondere bei Hochzeitspaaren. Das verwirrende Experiment Klosterhotel wird, so scheint es, einfach angenommen. Wenn …, ja wenn das denn wirklich alles so einfach wäre.

Die "Verzweckung von religiösen Symbolen" bereitet so manchen Klerikern nämlich Unbehagen. Die Bereitschaft der Kirchen, der Welt entgegenzukommen, ist durchaus widersprüchlich. Und nicht immer gewollt. Die Gefahr, sich in kirchenfremden Inszenierungen mittelalterlicher Welten als authentische Statisten zu verlieren, ist durchaus real. Nicht nur in Rust. Konflikte begleiten so manche spektakuläre Öffnung von Klöstern fürs Publikum. Die vielen einhellig euphorischen Berichte etwa von der neuen himmlischen Art, im Kloster Arenberg bei Koblenz modernen Wellnessurlaub unter Nonnen zu machen, verdecken leicht die wirtschaftlichen Gründe für den Radikalschwenk der Dominikanerinnen. Der spirituelle Lebensstil will nämlich finanziert sein, die Klöster wirtschaften in einem ökonomischen Umfeld. Und das macht keinen Halt vor Klostermauern.

Die Nonnen mussten sich irgendwann entscheiden, in welcher Richtung es, wenn überhaupt, weitergehen sollte.

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