Debatte Frankreich und die EU: Unser Gorilla

Frankreich stützt seine Machtposition in der EU durch gute Beziehungen zu Diktatoren aus Afrika und dem südlichen Mittelmeerraum; ein klarer Gewinn für die Festung Europa.

In den 50er-Jahren hatte der Generalsekretär der Nato, Lord Ismay, die Organisation wie folgt charakterisiert: Sie sei ein Instrument, "um die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten". Analog dazu ließe sich zur von Präsident Nicolas Sarkozy angeleierten und am Sonntag offiziell gegründeten Union für das Mittelmeer (Union pour la Méditerranée, UPM) sagen: Sie ist ein Instrument, um Frankreich in der Mitte, den Südrand des Mittelmeers und Afrika unten sowie die unerwünschten Migranten draußen zu halten.

Frankreich in der Mitte, das bedeutet: Paris als politisches Gravitationszentrum. Das hat nun nicht hingehauen, denn rivalisierende Mächte innerhalb der Europäischen Union - allen voran Deutschland und Spanien - funkten im Vorfeld dazwischen. Die neue Union der Mittelmeerländer wird daher nicht, wie ursprünglich geplant, rund um Frankreich als politisch und ökonomisch stärksten Anrainerstaat, sondern rund um die EU strukturiert sein. Deshalb durfte das Ganze auch nicht mehr, wie von Sarkozy anfänglich vorgesehen, "Union méditerranéenne" oder "Mittelmeerunion" heißen, sondern wurde zur "Union für das Mittelmeer" (UPM).

Durch die Einbeziehung der gesamten EU gewinnt die neu geschaffene Union natürlich immens an räumlicher Ausdehnung: Sie umfasst nun immerhin 12 Millionen Quadratkilometer und 775 Millionen Einwohner und reicht bis an den nördlichen Rand der EU, ans Eismeer. Gleichzeitig hat sie deutlich an Integrationskraft verloren. Denn die nördlichen und östlichen Mächte innerhalb der EU werden voraussichtlich weiterhin als eifrige Bremser auftreten. Da die UPM zudem bislang über kein eigenes Budget verfügt, ist anzunehmen, dass den großspurigen Ankündigungen seitens Sarkozy nicht allzu schnell konkrete Taten folgen werden.

Mit einer wichtigen Ausnahme: Bei der Abwehr unerwünschter Einwanderer wird die EU alsbald noch "effizienter" als heute schon mit den Staaten des Mittelmeerbeckens zusammenarbeiten. Denn dass die ökonomisch nicht hinreichend verwertbaren Einwanderungskandidaten "draußen" gehalten werden sollen, das ist bei dem Großteil der EU-Staaten Konsens. Regime wie die in Marokko, Tunesien oder Libyen geben zudem gern den Wachhund für diese Dienstleistung ab, vorausgesetzt, ihren heimischen Eliten winken dafür weitere Privilegien.

Ach ja, richtig: Libyen, das (vorläufig) zum Champion in dieser Kategorie aufgerückt ist - seit 1999 geht man von etwa acht großen Flüchtlingslagern auf libyschem Boden aus, in denen von Europa abgewiesene Migranten eingepfercht sind -, war beim Pariser UMP-Gipfel nicht dabei. Dabei wäre seine Anwesenheit erwünscht gewesen. Muammar al-Gaddafi aber hatte die Einladung abgelehnt: Schließlich reiht er sich nicht gern in eine fremde Einflusssphäre ein - sei sie nun französisch oder europäisch -, sondern hätte lieber seine eigene. Besonders in Afrika, wo fast alle übrigen Araber ihn mittlerweile nicht mehr ernst nehmen.

Bleibt noch ein wichtiges Kernziel der UPM übrig: "den Südrand des Mittelmeers und Afrika unten halten". Das ist natürlich nicht nur geografisch gemeint, sondern vielmehr politisch, im Sinne der Wahrung oder Wiederherstellung einer klaren internationalen Hierarchie und Arbeitsteilung.

Obwohl Frankreich seinen traditionellen Großmachtstatus - der eng mit seiner Position als Kolonialmacht zusammenhing - längst eingebüßt hat, halten seine Regierungen an einem imperial wirkenden Auftreten fest. Eine wichtige Stütze sind ihnen dabei ihre privilegierten Sonderbeziehungen zu "befreundeten" Regimen, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Dass diese Regime - höflich ausgedrückt - nicht immer demokratisch ausgerichtet sind, stört dabei kaum. Denn ein befreundeter Gorilla ist immer noch "unser" Gorilla.

Preisträger in dieser Kategorie ist der Präsident der Erdölrepublik Gabun, Omar Bongo Ondimba, seit Januar 1967 und damit schlappe 41 Jahre im Amt. Erst jüngst, vom 1. bis 11. Juli dieses Jahres, weilte "unser" Omar Bongo in der französischen Hauptstadt, wo er nicht weniger als 33 luxuriöse Villen besitzt und wo die Guthaben geparkt sind, die laut NGOs wie Transparency International "der gabunischen Bevölkerung gestohlen worden sind". Offizieller Grund seiner Präsenz in Paris: "… um die europäische Ratspräsidentschaft meines Freundes Nicolas Sarkozy gebührend zu feiern."

Kaum war er abgereist, trafen auch schon die nächsten Könige und Diktatoren - darunter Syriens el-Assad und Tunesiens Ben Ali - zum Gipfel der UPM in Paris ein. Auch hier haben wir es zum Teil mit Oberhäuptern von Staaten zu tun, die in traditionellen Einflusszonen Frankreichs liegen.

Zu Letzteren zählt insbesondere der Libanon, wo Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg "Protektoratsmacht" - mit einem Mandat des Völkerbunds ausgestattet - war. Frankreich wahrte seine starke Präsenz in der Wirtschaft, etwa im Banken- und Finanzsektor, auch noch im Anschluss daran.

Nun hat Frankreich einen diplomatischen Erfolg erzielt, indem Sarkozy Syrien am Rande des UPM-Gipfels dazu bewog, dass es seine diplomatische Anerkennung der Souveränität des Nachbarlands Libanon sowie eine gewisse Bereitschaft zur Aussöhnung mit dem Staat Israel verkündete. Bislang hatte Syrien hegemoniale Ansprüche im Libanon erhoben, und im Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 hatten Damaskus und Tel Aviv beide gleichermaßen eifrig daran gearbeitet, den kleinen Nachbarstaat in die Zange zu nehmen. Nun soll alles anders werden, Syrien und der Libanon werden Botschafter austauschen. Dies kam keineswegs spontan, vielmehr hat Frankreich in einjähriger zäher Diplomatie darauf hingearbeitet und seinen Einfluss in der Region spielen lassen.

Für Syriens Entgegenkommen winkt nun eine Belohnung: Wenn die Vereinigten Staaten - mit denen Sarkozy wiederum eng befreundet ist - am Ende der Bush-Ära noch den dicken Knüppel gegen den Iran ausfahren sollten, dann wird Syrien nichts abbekommen. So erklärte Nicolas Sarkozy am Sonntag, es sei ein "historischer Irrtum" gewesen, Syrien mit dem Terrorismus im Libanon - und dem Attentat von Dakkar 1983, bei dem 258 französische Soldaten starben - in Verbindung zu bringen. Vielmehr trage ganz allein der Iran die Schuld. Sollte auf die Friedenseuphorie in Paris doch bald das Säbelrasseln folgen?

Unabhängig davon aber ist derzeit offen, ob Sarkozy längerfristig von dem internationalen Respekt profitieren kann, den ihm der Gipfel bislang eingebracht hat. Da die Union der Mittelmeerländer mangels eines eigenen Haushalts auf Gelder aus EU-Töpfen sowie auf projektbezogen und bei den Mitgliedsstaaten einzutreibende Mittel angewiesen ist, wird sich noch erweisen müssen, ob Frankreich seine Führungsrolle bewahren kann.

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