Skandinavien protestiert gegen "Orwell-Gesetz": Schweden liest mit

Den Skandinaviern werden die Folgen von Schwedens neuem Überwachungsgesetz bewusst: Ob norwegische SMS oder finnische Gmail-Konten - alles landet im Kontrollnetz.

Auch die Mails dänischer Pfarrer bleiben vor den Augen des schwedischen Geheimdienstes nicht verborgen. Bild: dpa

STOCKHOLM taz Ein "Fest für die Bananenrepublik Schweden" fand am Donnerstagnachmittag in Stockholm statt. Aufgerufen hatten mehrere NGOs und verschiedene politische Gruppen, sowie die Jugendorganisationen aller im Parlament vertretenen Parteien. Ein breites parteiübergreifendes Bündnis, deren VertreterInnen in Rede- und Musikbeiträgen gegen das vom Parlament verabschiedete umstrittene Internet- und Telefon-Überwachungsgesetz protestierten. "Wir wollten damit zeigen, dass die Frage um das 'Orwell-Gesetz' nicht verschwinden wird, so sehr die Regierung auch darauf hoffen mag", sagt Mårten Angner von der Piratenpartei, einer der Initiatoren des Festes.

Auch das Ausland zeigt sich über die Folgen der dem schwedischen Militärgeheimdienst FRA ab 1. Januar 2009 eingeräumten Überwachungsbefugnisse empört. So schreckte die dänische Tageszeitung Kristeligt Dagblad ihre christliche Leserschaft mit der Überschrift: "Alle persönlichen E-Mails an deinen örtlichen Pfarrer liest Schweden mit". Die Server, bei denen sich die protestantische dänische Kirche und auch das Kirchenministerium eingemietet haben, stehen nämlich in Schweden. Weshalb aller kirchliche Mailverkehr demnächst auf die FRA-Rechner kopiert wird. Die IT-Abteilung des Kirchenministeriums überlegt deshalb, den Provider zu wechseln. Anne Baastrup, Parlamentsabgeordnete der dänischen Linkssozialisten fordert stattdessen, Kopenhagen solle bei der schwedischen Regierung gegen das Gesetz protestieren, das eine solche Überwachung möglich mache: "Das kann ansonsten ein riesengrosses Problem für ganz Skandinavien werden."

Auch die Finnen sind besorgt. Zwar hat die finnische Tochter des staatlichen schwedisch-finnischen Telekomunternehmens Telia-Sonera die Server für den innerfinnischen E-Mail-Verkehr bereits aus Schweden abgezogen und nach Finnland verlegt. Doch im schwedischen Überwachungsnetz hängen bleiben werden beispielsweise alle UserInnen von Konten bei Gmail oder Hotmail. Unternehmen mit grenzüberschreitenden Diensten müssten sich überlegen, wie sie die Datenintegrität ihrer NutzerInnen sicherstellen wollen, meint Timo Lehtimäki, Sicherheitsexperte der finnischen Kommunikationsbehörde.

Bei SMS- und Mailnachrichten zwischen Handys könnte es in Zukunft schwedische Mitleser geben, selbst wenn diese im innerdänischen oder innernorwegischen Verkehr verschickt werden. Verschiedene Telekomunternehmen wie Tele2 oder Momail haben nämlich in Schweden ihre zentralen Server stehen, über die dieser Verkehr routinemässig abgewickelt wird.

Der böse Verdacht, dass mit dem neuen Gesetz vielleicht letztendlich nur legalisiert werden solle, was in der Praxis seit 10 Jahren illegal gemacht wird, hat durch "Rapport" - die Tagesschau des öffentlichen rechtlichen schwedischen Fernsehens - neue Nahrung bekommen. Die Redaktion hat Insiderinformationen bekommen, wonach seit Jahren von FRA das Surfverhalten und der Mailverkehr schwedischer UserInnen über eine umfassende Speicherung der aufgerufenen IP-Adressen registriert werde. Eine ähnliche Registrierung gebe es bei FRA vermutlich für Internettelefonie, den Chatverkehr und Dienste wie beispielsweise MSN-Messenger.

Nachdem verschiedene Privatpersonen deshalb mittlerweile Strafanzeigen gestellt haben, kündigte die Datenschutzbehörde jetzt an, die Rechner des Militärgeheimdienstes FRA inspizieren zu wollen. Auch der Verfassungsschutz SÄPO will dem Vernehmen nach den Umfang der bisherigen Internetüberwachung durch FRA kontrollieren. Anne Ramberg, Generalsekretärin des schwedischen Rechtsanwaltsverbands reicht das nicht: "Wir brauchen eine unabhängige Wahrheitskommission." Diese müsse untersuchen, womit sich die militärischen Lauscher eigentlich in der Vergangenheit befasst haben: "Keiner scheint das ja richtig zu wissen."

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