Russische Skins auf der Anklagebank: Tödlicher Hass auf alle "Nichtslawen"

In Moskau steht bald eine Skin-Gruppe vor Gericht. Sie sollen über 20 Morde und 12 Überfälle aus rassistischen Gründen begangen haben.

Gewalttaten mit rassistischem Hintergrund werden in Russland immer häufiger. Bild: dpa

MOSKAU taz Artur Ryno ist Student an der Moskauer Hochschule für angewandte Kunst. Der gerade volljährig gewordene Kunstliebhaber stammt aus Jekaterinburg und ist auf den ersten Blick ein eher unauffälliger Typ. Im letzten Jahr wurde Ryno in Moskau wegen Mordverdachts festgenommen. Mit einem Kumpel soll er einen 45-jährigen Armenier auf offener Straße niedergestochen haben. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen abgeschlossen. Was im Laufe der Untersuchung ans Licht kam, übertraf die schlimmsten Erwartungen. Der Freund religiöser Malerei war der Kopf einer Skinheadgruppe, der mehr als 20 Morde und 12 Überfälle aus rassistischen Motiven zur Last gelegt werden.

Der neunköpfigen Skinheadgruppe gehörten acht Jugendliche im Alter zwischen 17 und 22 Jahren an. Ältestes Mitglied war eine 22-Jährige, die die Morde mit der Videokamera festhielt. Alle Taten wurden 2007 innerhalb von acht Monaten begangen.

Nach der Festnahme war Ryno zunächst geständig. Neben dem Mord an dem armenischen Geschäftsmann bekannte er sich zu weiteren 37 Morden an "nicht slawischen" Mitbürgern und Ausländern. Ryno gab zu Protokoll, "schon seit der Schulzeit Kaukasier und Asiaten zu hassen, die in die Hauptstadt kommen und Russen unterdrücken und bedrängen". Seine Gruppe sei durch Moskau gezogen und hätte Russen, die sich mit Fremden stritten, geholfen. "Ich hab das Messer gezogen und auf den Nichtrussen mehrfach eingestochen." Das Muster war immer das gleiche. Auch ein slawischer Ukrainer und ein bekannter Schachspieler aus dem sibirischen Jakutien fielen den Rassisten zu Opfer. In der Dunkelheit hatten sie die ethnische Herkunft ihrer Opfer einfach verwechselt.

Während der Untersuchungen widerrief Artur Ryno seine Aussagen. Die Beweismittel sind jedoch erdrückend und auch alle anderen Mittäter konnten dingfest gemacht werden. Die Skins töteten immer als Kollektiv.

Morde und Überfälle mit rassistischem Hintergrund werden in Russland immer häufiger. Im ersten Halbjahr 2008 starben 69 Menschen und mindestens 170 wurden bei Übergriffen verletzt, stellte das Moskauer Büro für Menschenrechte fest. 2004 wurden in Moskau 17 rassistische Morde begangen, 2007 waren es schon 42. Am häufigsten trifft es Bürger aus den ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken, Usbeken, Kirgisen und Tadschiken, sodass die Regierungen der zentralasiatischen Staaten den Kreml Anfang des Jahres aufforderten, endlich etwas gegen die wachsende Ausländerfeindlichkeit zu unternehmen.

Der Staat tut sich jedoch schwer. Auch die Gerichte versuchen die neonazistischen Motive der Gewalttaten zu verbergen. Vorgestern verurteilte ein Gericht in Jekaterinburg eine Skin-Gruppe, die "SIG 88", zu mehreren Jahren Haft. Rassismus und Extremismus wurden jedoch aus der Urteilsbegründung gestrichen und die Angeklagten wegen einfachen Mordes verurteilt. Das russische analytische Zentrum Sowa, das Rassismus und Antisemitismus beobachtet, kommt im Jahresbericht 2007 zu dem Ergebnis: die Eindämmung des Rassismus sei schwierig, wenn selbst "Vertreter des Staates, Regierungsparteien und Organisationen als aktive Personen daran mitwirken, fremdenfeindliche Stimmung in den Massen zu provozieren". Auch Kreml-nahe Jugendorganisationen würden mit offen rassistischen PR-Aktionen Politik machen.

Ähnliches beklagen auch die Meinungsforscher vom Lewada-Zentrum. Sie halten die Bürokratie für die Hauptquelle des kollektiven Fremdenhasses. Diese sei viel gefährlicher als marginalisierte Gruppen jugendlicher Skinheads. KLAUS-HELGE DONATH

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