Arbeitsmedizinerin über Renteneintrittsalter: "Arbeiten bis 67 ist meistens möglich"

Arbeitsmedizinerin Anette Wahl-Wachendorf ist gegen einen pauschalen früheren Ruhestand. Individuelle Belastbarkeiten und Umgang mit Jobstress seien "höchst unterschiedlich".

Hohe nervliche Belastung: Im Lehrerberuf sind die Aufälle besonders hoch. Bild: dpa

taz: Frau Wahl-Wachendorf, in welchen Berufen können Menschen überhaupt bis zum 67. Lebensjahr arbeiten ?

Anette Wahl-Wachendorf: In der Mehrheit der Berufe kann man durchaus bis 67 oder sogar länger arbeiten. Schwieriger wird es im gewerblichen Bereich, bei starken körperlichen Belastungen. Die Gerüstbauer beispielsweise gehen deutlich vor dem 60. Lebensjahr in Rente.

Aber in den Fertigungsstraßen etwa der Automobilindustrie arbeitet heute kein 60-Jähriger.

Wir haben in der Fertigung natürlich ergonomische Belastungen, dort aber können Sie mit angehobenen Bändern, mit Wechsel der Arbeitspositionen in den Unternehmen deutliche Verbesserungen erreichen.

Die Statistiken zeigen, dass Erwerbstätige jenseits des 50. Lebensjahrs länger krank sind als Jüngere.

Das ist richtig, zum Beispiel Krebserkrankungen nehmen in diesem Alter zu, auch Diabetes und Bluthochdruck. Das hat dann aber nichts mit den arbeitsspezifischen Belastungen zu tun.

Wie sieht es mit der längeren Erwerbsphase für Krankenschwestern, Erzieherinnen oder Lehrern aus, bei denen die nervliche Belastung als besonders hoch gilt?

Es gibt klassische Berufe, die zu hohen Ausfällen führen, etwa den Lehrerberuf. Dort haben sie einen älteren Lehrer, haben Jugendliche, die eine Leistung abrufen müssen, nicht abrufen wollen, und sie haben Arbeitsbedingungen, wo Lehrer Vertretungsstunden übernehmen müssen, sie haben hohe Lärmbelastungen. Der Lehrer kann sich häufig im Arbeitsalltag nicht zurückziehen, er nimmt sich das über die Krankmeldung heraus.

Sollte man pauschal für bestimmte Berufe eine frühere Rente verordnen, etwa Krankenschwestern mit 60 in Rente schicken?

Eher nicht, das ist an der Sache vorbei, denn die subjektiven Strategien, mit Belastungen umzugehen, und die individuelle Belastbarkeit sind höchst unterschiedlich. Ich habe Beschäftigte erlebt, die hohe Belastungen tragen, einen Todesfall verkraften müssen, drei Kinder erziehen und dennoch hervorragend ihren Alltag bewältigen. Dann gibt es andere, die objektiv weniger Belastungen haben im gleichen Beruf, aber schlechter zurecht kommen. Das muss man berücksichtigen.

Was sollen Mitarbeiter und Unternehmen nun tun?

Viele Betriebe nehmen noch nicht wahr, dass die demografische Entwicklung künftig ein Problem sein könnte. Doch damit muss offen umgegangen werden, das muss eingeplant werden. Die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter muss gestärkt werden durch ein Gesundheitsmanagement. Im Individualfall kann es angebracht sein, die Arbeitszeit zu reduzieren.

All dies gilt für Leute, die einen Job haben. Doch wer älter ist und erwerbslos, kommt so leicht in kein Unternehmen mehr hinein.

Das ist heute oft so. Wir wissen aber nicht, ob das auch so bleibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.