Frankreichs Niederlage gegen die Niederlande: Die Blauen am Abgrund

So klar unterlegen, wie das Ergebnis vorspiegelt, war das französische Team zwar nicht. Doch den Franzosen fehlt der Spiritus Rector - ihnen fehlt Zinedine Zidane.

Lupfte am Tor vorbei: Thierry Henry. : dpa

BERN taz Raymond Domenech ist ein Zyniker, der die ihn begleitenden Journalisten wahlweise mit Verachtung straft oder sich über sie lustig macht. Manchmal sind seine Statements allerdings auch mit hintergründigem Witz gesegnet. So wie vor der Begegnung mit den Niederlanden, als Domenech gefragt wurde, ob es ihn tangiere, dass die Partie an einem Freitag den 13. ausgetragen werde. „Ich bin nicht abergläubisch“, hat Frankreichs Trainer geantwortet, „das bringt nur Unglück.“

Ein schönes Bonmot, das allerdings von der Realität eingeholt worden ist. Das 1:4 im Berner Stade de Suisse ist die schwärzeste Stunde der ruhmreichen Equipe Tricolore in der EM-Geschichte. Nie zuvor hat Frankreich beim kontinentalen Gipfeltreffen in dieser Höhe verloren. Um eine ähnlich epochale Niederlage zu finden, muss man im Fußball-Geschichtsbuch weit zurückblättern. 50 Jahre ist es her, da verloren die Franzosen in Schweden das WM-Halbfinale gegen die grandiosen Brasilianer mit dem 17-jährigen Pele mit 2:5.

Nun bekamen sie es wieder mit einem außergewöhnlichen Gegner zu tun, der den Vize-Weltmeister mit atemberaubenden Hochgeschwindigkeits-Attacken zerlegte. Auf der VIP-Tribüne erlebte Uefa-Präsident Michel Platini den Untergang seiner Landsleute mit. Platini hatte seine Mitspieler, die er 1984 mit neun Toren zum EM-Triumph geführt hatte, zum Wiedersehen im Uefa-Hauptsitz in Nyon eingeladen.

Nun musste er mit ansehen, wie die Generation 2008 unterging. Doch nicht alles was er sah, war schlecht. So klar, wie es das Resultat vorspiegelt, war die Unterlegenheit nicht. „Es war frustrierend“, sagte Sidney Govou. „wir haben das Spiel gemacht, aber sie waren effektiver und haben uns ausgekontert.“ Der notorische Grantler Domenech tat sich sichtlich schwer, den Sieg des Kontrahenten anzuerkennen: „Du brauchst Glück, aber unser Gegner hatte Glück. Wenn du nicht durchschlagkräftig genug bist, wenn der gegnerische Torwart so gut ist, und wenn der Schiedsrichter gegen dich ist, passiert so etwas.“

Immerhin: Einen lobenden Satz hat sich Domenech dann doch noch abgerungen: „Wer Italien und uns mit drei Toren Unterschied schlägt, hat auch Qualität.“

Die Aussagen des Trainers zeugen nicht nur von Hochmut, sie enthalten auch Wahrheit. Schließlich hatten die Franzosen nach der frühen Führung der Holländer das Spiel bestimmt und sich gute Möglichkeiten rausgespielt. Und deshalb war eine Niederlage – vor allem in dieser Höhe – für Thierry Henry „schwer zu akzeptieren“. Frankreichs Star hatte das Gefühl, „die Niederlande sind verwundbar“ und empfand es als „komisch, weil wir so viele Chancen hatten und dennoch nicht zurückgekommen sind“. Dabei verschwieg er, dass Frankreich die Klasse früherer Tage vermissen lässt.

Mit Franck Ribery haben sie einen quirligen Wirbelwind, der herausragt. Doch hinter den Aktionen der Franzosen ist kein Plan zu entdecken. Es fehlt ein Stratege, der das Spiel lenkt und das Tempo variiert. Es fehlt Zinedine Zidan. Mit ihm haben les Bleus ihren Spiritus Rector verloren. Zudem ließ Henry in der 54. Minute die große Ausgleichschance mit einem Lupfer über das Tor ungenutzt. Eine Chance, die er sich an guten Tagen nicht entgehen lässt.

Nach dem torlosen Remis und der Niederlage gegen Holland taumelt Frankreich beim Gipfeltreffen gegen Italien (Dienstag, 20.45 Uhr, Zürich) am Abgrund: Vor der Neuauflage des WM-Finals 2006 in Berlin stehen die Niederlande als Gruppensieger fest und können darüber entscheiden, ob Rumänien als lachender Zweiter überlebt, während Italien und Frankreich als weinende Dritte und Vierte nach Hause fahren müssten. Ein wahrhaft spektakuläres Szenario, das die europäischen Kräfteverhältnisse komplett über den Haufen werfen würde.

Die gestrauchelten Widersacher wissen um ihre prekäre Lage. Domenech sieht „keinen Grund, zuversichtlich zu sein. Wir müssten schon sehr optimistisch sein, um zu glauben, die Niederlande gewinnen gegen Rumänien.“

Am Morgen nach dem Untergang berichtete Domenech von einer „Nacht ohne Schlaf. Ich habe immer wieder zu verstehen versucht, habe das Videoband nach vorne und wieder zurückgespult – das ging bis morgens um fünf Uhr.“ Dass auch sein Job auf der Kippe steht, tangiert den 56-Jährigen nach eigener Aussage periphär.

„Ich denke jetzt nur an das nächste Spiel“, hat Demenech im Stade de Suisse zu Protokoll gegeben: „Es ist in diesem Moment nicht wichtig, wer hier Trainer ist.“

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