Die Rückkehr eines Wohn-Trends: Zurück auf den Teppich

Das Leben als Provisorium - auf nackten Dielen - ist vorbei: Man kauft wieder Teppiche, die zur Wellnessinsel werden.

Der gute, alter Perser: Teppuichladen in Bagdad. Bild: dpa

Man muss den Blick zu Boden richten, um zu verstehen, wo der Einrichtungstrend hingeht. Bisher glänzt die typische Altbauwohnung in Deutschland mit Parkettboden oder abgezogenen Holzdielen. Eine glatte Oberfläche, nackt gehalten, ein kodiertes Zeichen guten Geschmacks, der sich im Hang zum Minimalismus ausdrückt. Zunehmend jedoch wird dieses Parkett nicht nur gepflegt, sondern auch wieder belegt. Scheibchenweise, hochwertig und dick. Der Teppich kehrt zurück - nicht als Vollbelag von Wand zu Wand, sondern als abgekantetes Einzelstück, das seine Besitzer charakterisiert. Man mag es wieder gemütlich - und bei achthundert bis tausend Euro pro Quadratmeter auch teuer.

Es gibt diese Art von Menschen, die können jeden Raum umdrehen. Nicht im wörtlichen Sinne, wie eine Art Magier, sondern sie haben einfach die Fähigkeit, jede Schmuddelbude in einem solchen Licht leuchten zu lassen, dass sie herrlich wohnlich wirkt. Ja, wohnlich, ein Ort zum Niederlassen und zum Leben. Dabei benutzen sie die gleichen Ressourcen oder gar weniger, als diejenigen, die ihre Wohnung zu einer überästhetisierten Ausstellungsfläche sans esprit machen. Die Raummagier verlassen sich dabei weniger auf das, was Mode ist oder in intellektuellen Schichten goutiert wird, sondern sie folgen ihrem eigenen Sinn für das, was wozu passt, oder auch nicht, und trotzdem oder gerade deswegen gut aussieht.

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Am Haus, an der Wohnung, auch am WG-Zimmer zeigen wir, wer wir sind. Eine Tatsache, der man sich leicht durch das Festkleben an einem Stil, eben dem, den man für den geforderten hält, entziehen kann. Es ist wie beim Wein: Jeder kann die einschlägigen Publikationen lesen und folglich eine Kennerschaft vorgaukeln, gute Geschmacksnerven hat man deshalb aber noch lange nicht. Heraus kommt beim getrimmten Weg zum Wohnzimmer allzu oft eine formvollendete, aber langweilige Ästhetik, die das perfekt Schöne aus der Vergänglichkeit heben möchte, es aber eher in Formaldehyd konserviert. Stil lebt oft eben auch von Brüchen in der Zeitachse. Durch den Stilbruch entsteht eine Sammlung der zarten vergangenen Momente, die in ihrer Vergänglichkeit nur als Erinnerung weiterleben. Durch sie gewinnt die Oberfläche, oft eine angekratzte, an Wert und Bedeutung. Ein komplettes Ligne-Roset-Zimmer aus einer bestimmten Zeit wird immer wie ein Ausstellungsstück im Handwerksmuseum wirken.

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Eine Wohnung, die nur unter dem Aspekt, was nun stilsicher sei, eingerichtet ist, wirkt wie das bis zum Anschlag retuschierte Bild auf dem Cover einer Frauenzeitschrift. Schön anzusehen, am Leben aber gescheitert. Oberflächlich. Etwas zum Ansehen, aber kein Lebensmodell. Wichtiger als das Bekenntnis zu Marken und Styles ist in der Einrichtung das Ja zum dem, was man selbst ungeachtet aller Strömungen und dessen, wie der Bekanntenkreis eingerichtet ist, schön findet. In Möbel gegossene Meinung bringt Zimmern Persönlichkeit - etwas, was sie ja per definitionem eigentlich gar nicht beinhalten könnten; eine Persönlichkeit, die kein noch so begabter Innenarchitekt hervorzaubern kann. Denn die Räume werden von denen geprägt, die in ihnen leben. Stilpuristen verkennen das in ihrer panischen Angst vor dem Stilbruch. Kein Bild an der Wand, aus Furcht, es könnte das falsche sein, kein Möbelstück zu viel, es könnte

ja verräterisch sein. Auch extremer Flohmarktplunder als angebliches Bescheidenheitsstatement wirkt so.

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Menschen, die sich in ihrem Zuhause wohlfühlen, sind sympathischer als die Vertreter jener Spezies, für die das Wohnzimmer nur als aufwendig gestaltete Kulisse für ihr Schaulaufen fungiert. Man braucht Mut, um sich so einzurichten, wie man es schön findet, unabhängig von der gerade aktuellen Stillinie. Zwar kann eine Miniaturelefantensammlung mit der Zeit zu einer veritablen einrichtungstechnischen Belastung werden, doch wenn es gefällt - warum nicht? Und wenn jemand gerne kocht, mein Gott, weshalb soll er sich dann kein holzgedrechseltes Gewürzregal in die Küche stellen? Und wenn jemand die Regalserie "Ivar" von Ikeal als Aufbewahrungselement für seine in vielen Jahren mühevoll zusammengetragene, farblich nicht aufeinander abgestimmte Büchersammlung geeignet findet - warum sollte er sie nicht aufstellen? Nur um nicht von den vielleicht zwei, drei Geschmacksfaschisten, die ihn im Laufe eines Jahres besuchen, heimlich und hämisch belächelt zu werden?

In der Rückkehr zum Teppich steckt ein überwundenes Trauma - das von den Einrichtungssünden der Eltern oder was man während der Jugend für sie gehalten hat. Wer es früher durch Fleiß und Sparsamkeit zum Eigenheim gebracht hatte, legte sich gerne zusätzlich als Statussymbol einen Perser in die Stube. Ganze Generationen schauten auf die bunten Orientteppiche der Eltern, mit den täglich akribisch in Reih und Glied gebrachten Zotteln. Mit der Imitation der Familienkonstellation nähert man sich auch dem Einrichtungshabitus der Eltern an: Teppich kehrt als subtiles Statussymbol wieder.

"Es boomt", sagt Michaela Schleypen. Seit dreieinhalb Jahren betreibt die Designerin in Köln ihr Geschäft "Floor to Heaven" und erkennt eine deutliche Tendenz zum hochwertigen Teppich. Ihre Kunden legen Wert auf Innovation und Individualität. Es passt zu den Zeiten, in denen so viel von Rückbesinnung auf die Familie gesprochen wird, dass nun Kuscheliges Einzug erhält. Man hat wieder Kinder, schwört auf beständige Werte und vielleicht gar auf eine hölzerne Bank in der Küche.

Als gut wird jetzt eben gesehen, was das Leben ausgeglichen macht, Zuflucht bietet. Das kann ein Yogakurs sein, Lebensmittel aus dem Biomarkt oder eben auch eine dicke, warme Teppichinsel, auf die man sich legen kann, während man mit dem Kind das Wimmelbuch anschaut. Dass das Parkett aber nie ganz verschwindet, sondern immer als Grundlage des Raumes und der Eigendefinition erhalten bleibt, ist selbstverständlich. Eine Annäherung an die Einrichtung der Eltern ist eben kein pures Übernehmen. "Eigentlich zerstört ein Teppich von Wand zu Wand jedes Raumkonzept", stellt Jürgen Dahlmanns von Rug Star Berlin fest und macht unmissverständlich deutlich, dass er von Auslegeware gar nichts hält. Der studierte Architekt, der seinen Beruf aufgab, um mit einer Ich-AG selbst entworfene Teppiche zu verkaufen, erläutert: "Seit der Moderne lösen sich die klassischen separierten Räume auf. So wird der Teppich wieder ein wichtig, um Raum im Raum zu definieren. Tisch und Teppich sind nicht mehr Tisch und Teppich, sondern Esszimmer."

So wird nun in einer kalten Edelstahlküche für Gäste gekocht, die auf dem flauschigen Teppich sitzen. Auch Dahlmanns lebt vom Trend zum hochwertigen Teppich. Aus der Ich-AG ist längst ein profitables Geschäft geworden. Dahlmanns heimelige nepalesische Teppiche bedienen gleich mehrere Sehnsüchte: nach Gemütlichkeit, nach kontemporären Design, nach Beständigkeit und ein wenig Privatsphäre, die dank gedämpftem Raumklang des modern bunten Bodenschmucks wegen vermittelt wird.

Keinen Zufall findet der Designer, dass Luxusteppiche gerade jetzt wieder gefragt sind. "Wenn man sich mal an diese harte, brutale Gesellschaft der späten Neunziger erinnert, dann ist es doch kein Wunder, dass der Teppich zurückkehrt." Ein Teppich aus Wolle, der nicht altert, sondern in Laufe der Zeit und mit jeder neuen Macke höchstens sein Metadesign ändert, drückt diese Befindlichkeit besser aus als ein Wegwerfstück für einen kurzen Lebensabschnitt. "Ein Teppich ist ein Statement, das man einfach machen kann, ohne auf elitäre Strömungen zu achten wie bei Kunstwerken", sagt Ben Evans von modern carpets & textiles for interiors, einer europäischen Teppichpublikation aus London.

Bei so viel Innovation und Individualisierung auf dem Teppichmarkt tut sich ein Klassiker schwer: der Perserteppich. Vom Jahre 2000 bis dato gingen die Einfuhren nach Auskunft des Bundesverbandes der Orientteppichimporteure um 55 Prozent zurück. Ein Rückgang, der sich jedoch teilweise aus einem geänderten Lager- und Bestellverhalten der Händler ergibt.

Dem Trend zum dicken Teppich hat das schwindende Interesse am guten Perser nichts anhaben können. Was Erfolgsgeschichten wie die von Michaele Schleypen und Jürgen Dahlmanns verdeutlichen. Ein fett-flauschiger Bodenbelag spendet Geborgenheit, an der es außerhalb der privaten Räume offenbar gebricht. Die Sorgfalt, die man braucht, um solch ein Stück Bodenzierde zu pflegen, wird wieder aufgewandt, des körperlichen und sozialen Wärmegefühls wegen. Nicht nur in metropolen Altbauten. Man hält wieder auf Werte - die sich gut anfühlen.

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