Kolumne In Fußballland: Wunderwelt Fahnenraub

Eine in Vergessenheit geratene Kulturtechnik erlebt ihre verdiente Renaissance.

"Die folgende Geschichte enthält Ausführungen homosexueller Handlungen, die für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ungeeignet sind. Der Inhalt ist nur für Erwachsene bestimmt." Halt, halt! Nein, das stimmt nicht! Ihr dürft weiterlesen, liebe Kinder. Das ist nur ein Zitat der Internetseite "Men on the nets erotic stories". Und es soll hier auch nicht um die dort veröffentlichte Geschichte "Das Pfadfinderlager" gehen, sondern um die Kultur des Fahnenraubs an sich, die in jener schwul-schwülen Story zwar eine interessante Rolle spielt, aber auch komplett jugendfrei zu erzählen ist.

Allerdings hatte der mir bekannte Fahnenräuber aus der Wirklichkeit auch ziemlich beeindruckende Oberarme, wie ich sehen konnte, als er ein geraubtes Banner mit freiem Oberkörper trug. Aber vielleicht trügt mich die Erinnerung daran auch, denn es ist nun doch schon einige Zeit her (wir reden von Jahrzehnten), dass Westfalia Herne in der Regionalliga West gegen Bayer Uerdingen spielte. Blondie war bei dieser Partie Anfang der Siebzigerjahre mit einigen Kumpels zur kleinen Schar von aus Krefeld mitgereisten Fans gegangen und hatte sie ziemlich handfest davon überzeugt, dass es eine unbedingt gute Idee wäre, ihm die blau-rote Fahne zu übergeben. Diese trug er dann triumphierend im Stadion herum, danach wurde sie verbrannt. Ein paar Wochen später erwischte es einen Achtjährigen, der mit seinem Vater ins Stadion am Schloss Strünkede gekommen war, um den Lüner SV zu unterstützen. Auch ihm wurde die ungefähr taschentuchgroße Fahne entwendet und angezündet.

Fahnenraub ist also nicht per se eine moralisch hochstehende Angelegenheit, und im Fußball ist er auch deshalb etwas in Vergessenheit geraten. Lange Zeit war vom Fahnenraub nur noch in den Arbeitsheften der Jugendfeuerwehr zu lesen, als Anregung zum gleichnamigen Geländespiel. Auch die Kerwe-Gruppe Adi (Kerwe ist ein traditionelles Dorffest), die dem Verein zur Erhaltung der Tradition Einhausen e.V angehört, pflegt die Tradition. Und aus St. Ruprecht in Kärnten wurde berichtet, dass dem "Faschingsgeneral" Reinhard Eberhard die "Halli-hallo-Fahne" geraubt und (Gottseidank!) zurückgegeben wurde.

Angesichts der bescheidenen Nischenexistenz des Fahnenraubs ist es schön, dass sich in den letzten Jahren die so erfolgreichen Ultras, die unter dem Slogan "Gegen den modernen Fußball" antreten, seiner angenommen haben. "Bewahrer althergebrachter Fußballtraditionen", nennt DFB-Präsident Zwanziger ihre Bewegung und das Beispiel des Fahnenraubs beweist das. Ihm haben die Ultras nämlich einen schönen kulturellen Aufschwung verschaffen können. Dabei spielt rohe Gewalt keine wichtige Rolle, und doch sind die Folgen weitgehender als sie es zu Zeiten von Blondie jemals waren.

So mussten die unglücksseligen Ultras aus Mönchengladbach erfahren, dass Unbekannte in den sogenannten Fahnenraum im Borussia-Park eingedrungen waren und ihr Banner entwendet hatten. Die Täter hatten sich nach dem Spiel gegen den FC St. Pauli angeblich mit gefälschten Ausweisen Zutritt dazu verschafft und neben der Fahne auch noch Bargeld mitgenommen. Die Beklauten lösten daraufhin umweglos ihre Gruppe auf, weil diese mit ihrer Fahne auch ihre Existenzberechtigung verloren hatte.

Auf so einen Ehrbegriff muss man erst einmal kommen und kann froh sein, dass er aus der machistischen Welt Italiens importiert ist und nicht aus Japan. Sonst hätten sich die armen Jungs (und so was können sich wirklich nur Jungs ausdenken) noch ins Schwert gestürzt und den rituellen Selbstmord Seppuku begangen. Anschließend mussten sich die Ultras i.A. (in Auflösung) beim Lokalderby in Köln auch noch den donnernden Hohngesang "Wir wolln die Fahne sehen" anhören und schließlich zusehen, wie diese kurz vor Spielschluss in deren Kurve zerfetzt wurde. Danach mussten sie auch noch das Schriftband "Versager!!" lesen. Der Fahnenraub taugt also immer noch für allerlei hinreißenden Blödsinn, und man muss dazu nicht einmal schwul sein.

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